Wer beim Red Bull Flugtag abhebt, muss ein bisschen Verrücktheit und eine gehörige Portion Selbstironie mitbringen – gute Bedingungen für die Teilnehmer aus Stuttgart.

Stuttgart - Ausgelassene Stimmung, Sommerfeeling und skurrile Outfits. Ein meterhoher Drache, eine riesige Discokugel und eine überdimensionierte Kloschüssel nehmen Fahrt auf. Die Zuschauer verfolgen gebannt das unterhaltsame Treiben, bei dem es nur um das Eine geht: stilsicher und möglichst schmerzfrei einige Meter zu fliegen beziehungsweise abzustürzen – beim Red Bull Flugtag. Nach Miami, Sydney, Hong Kong, Johannesburg, Sao Paolo und vielen anderen Städten folgt in diesem Jahr Mainz. Mit dabei sind auch zwei Mannschaften aus Stuttgart: die selbstironischen Luftpiraten „Don Canallie und seine tollkühnen Schurken“ um Teamkapitän Holger Fritz und das lockere „Super Mario Team“ von Levin Trautwein.

 

Am 28. Mai wagen im Mainzer Zollhafen 40 Kandidaten den Absprung. Es geht um Spaß, Unterhaltung und Lebenslust. Gegen mehr als 1000 Bewerber haben sich die Teilnehmer durchgesetzt und von den verbliebenen 80 Konkurrenten nochmal die Hälfte per Web-Voting hinter sich gelassen. Insgesamt wurden über 60.000 Stimmen abgegeben, sodass sich nur die beliebtesten 40 Mannschaften die sechs Meter hohe und 30 Meter lange Rampe hinunter stürzen dürfen.

Mit 796 Stimmen landete das Stuttgarter Team „Don Canallie und seine tollkühnen Schurken“ auf Rang 32. „Das war nervlich eine ziemliche Belastung. Alle fünf Minuten habe ich den aktuellen Stand angeschaut und besonders am Sonntag, dem Ende der Abstimmung, war ich sehr angespannt“, sagt Kapitän Holger Fritz. Der 23-jährige Chemiestudent will zusammen mit den Architekturstudenten Paul Eckert (20) und Max Schäfer (22) und den Studenten der Luft- und Raumfahrttechnik Leo Kernstock (22) und Jan Denzel (28) das ungewöhnliche Projekt angehen. Wie wichtig ihnen die Teilnahme war, verdeutlicht der immense Aufwand, den sie betrieben haben. „Jeder meiner Facebook-Freunde wurde von mir angeschrieben, wir haben sämtliche Foren im Netz zugemüllt und haben, als es knapp wurde und wir immer weiter abgerutscht sind, sogar Flyer in der Innenstadt verteilt“, erzählt Fritz.

Mit sowjetischem Jagdflugzeug zum Erfolg

Schwarz, mit möglichst vielen Totenköpfen und beeindruckend soll das Flugobjekt sein – es geht um Luftpiraten. Die Idee entstammt dem Comic „Käpt´n Balu und seine tollkühne Crew“. Neben dem Gegenspieler von Balu, Don Canallie, diente auch dessen Flugzeug als Vorbild. „Don Cannallie ist ein Luftpirat. Wir wollen das Thema aufgreifen und dann in alle Richtungen austreten und jedes Klischee erfüllen.“ Daher soll ein ähnlicher Flieger wie im Comic gebaut werden. Eine Polikarpov Rata, einem sowjetischen Jagdflugzeug aus den 30er Jahren, dient als Vorlage.

Da die Zeit drängt, wird sich die Stuttgarter Crew schnellstmöglich an den Bau machen. Deswegen haben sie sich tatkräftige Unterstützung beim Institut für Flugzeugbau geholt. Bei kniffligen Details wird den Luftpiraten vor allem der Techniker Jakob Straub zur Seite stehen. Nach anfänglicher Lockerheit hat das Team mittlerweile der Ehrgeiz gepackt. „Wir wollen auf jeden Fall, dass der Flieger fliegt. Also richtig fliegt und nicht wie man das in den Videos sieht, in denen der Flieger immer nur über die Kante runter kracht“, sagt Fritz.

Abiturienten stellen sich den Studenten

Damit das gelingt stehen den Mannen von Don Canalle intensive Arbeitswochen bevor. Eine Spannweite von acht Meter soll die Rata haben, der Rumpf fünf Metern lang sein. Daher teilen sie sich auf. Eine Gruppe stellt die Flügel her, die anderen bauen am Rumpf und das dritte Team kümmert sich um den Startwagen. Gebaut werden soll am Institut für Flugzeugbau und im Keller eines Kumpels. Ehrgeiz, Freude und die notwendige Selbstironie sind dem Teamleiter anzumerken, schließlich hat er „eingehende Analysen von den Videos gemacht, die da im Internet kursieren.“

Über die lustigen Szenen im Netz kam auch das „Super Mario Team“ um den 18-jährigen Levin Trautwein auf die Idee sich zu bewerben. Als klar war, dass der Flugtag nach sechs Jahren Abstinenz wieder in Deutschland stattfindet und der Termin nach den schriftlichen Abiturprüfungen liegt, bewarben sich die Jungs aus Stuttgart. „Wir wollten schon immer mal mitmachen und haben nur darauf gewartet, dass sich die Gelegenheit ergibt“, erläutert Trautwein. Dem Teamkapitän zur Seite stehen Cédric Müller-Kaiser (18), Max Hauser (19) sowie die Brüder Louis (18) und Lúc (17) Michél. Letztgenannter ist als Einziger kein Abiturient und muss noch eine Weile die Schulbank drücken.

Riesiges Mario-Kart vs. flammende Pyro-Show

Die Anderen werden bald mit dem Bau ihres Flugobjekts beginnen. Skizzen, Pläne und Materialen sind vorhanden. Nun soll ein fünf Meter breites und drei Meter langes Mariokart mit einem großen Windsegel entstehen. Da sich die angehenden Akademiker gerne auch mal mit dem beliebten Rennspiel die Zeit vertreiben, war schnell klar, dass es nur dieses Thema sein kann. So wollen sie ihr Glück mit dem überdimensionierten roten Gefährt versuchen und alles auf eine Karte setzen. Ein einziges Mal wollen sie es fliegen lassen – in Mainz. Ein Testflug komme nicht infrage, erklärt Trautwein, denn „das Risiko ist einfach zu groß, dass das Teil dann kaputt geht und wir die ganze Arbeit nochmal von vorne machen müssen.“

Mehr als 5 Millionen Zuschauer, rund 16.000 Teilnehmer und über 100 Veranstaltungen in 35 Ländern weltweit sprechen für die Professionalität und Beliebtheit der Veranstaltung. Premiere feierte der Flugtag 1992 in Wien. In Deutschland findet der Flugtag bereits zum siebten Mal statt. Nach Berlin (viermal), Hamburg und Köln ist nun Mainz an der Reihe. Auch das „Super-Mario-Team“ warb bei Freunden und Bekannten um Unterstützung. „Wir haben viel Werbung in Facebook gemacht, damit die Leute alle für uns abstimmen“, erzählt Trautwein, „ und wir sind jetzt wirklich glücklich und stolz, dass wir es in die Endausscheidung geschafft haben.“ 784 Stimmen reichten gerade so um auf Platz 37 und unter die besten 40 Kandidaten zu kommen.

Um beim Redbull Flugtag letztlich von der Rampe gehen zu dürfen, müssen einige Kriterien vom Luftfahrtbundesamt erfüllt werden. Besonders auf die Materialien kommt es dabei an. Spitze Gegenstände und Metall sind verboten. Auch muss der Flieger schwimmen können und aus naturverträglichen Komponenten bestehen. „Don Canallie“ plant deswegen mit Rumpf und Trägern aus Bambus, die Flügel aus hartem Styropor und einem carbonverstärkten Holzholm. Da bisher noch kein Sponsor aufgetrieben wurde und um den Geldbeutel nicht allzu arg zu strapazieren, werden sich die Studenten auch mal auf dem Schrottplatz umschauen, denn bei 500 Euro liegt die Schmerzgrenze. „Zu teuer wollen wir das ganze Ding auch nicht machen, weil man es ja im Endeffekt nur im Rhein versenkt und dann war es das“, sagt Fritz.

Lautstarke Unterstützung garantiert

Wesentliche Punktekriterien, die neben dem Flugverhalten bewertet werden, sind Show und Bühnenoutfit. Auch dabei setzen „Don Canallie“ voll auf Seeräuberklischees. „In den 45 Sekunden Show vor dem Abflug muss es rauchen, knallen, brennen – alles was halt erlaubt ist“, meint Fritz. Das Abiturienten-Team um Trautwein will dagegen vor allem mit den bekannten Mario-Kart-Charakteren überzeugen. Wie Mario, Luigi und Donkey Kong wollen sie sich verkleiden und das Spiel auf der Rampe nachspielen, damit Ihnen nicht nur die zahlreich mitreisenden Fans zujubeln. „Die sind alle begeistert und wären am liebsten auch im Team, aber das geht ja nicht“, sagt Trautwein.

Auch das Cannallie-Team kann in Mainz auf lautstarke Unterstützung zählen. Viele Freunde und Verwandte sind angetan von der verrückten Idee und wollen live dabei sein, wenn die Stuttgarter Studenten für Sekundenbruchteile abheben. „Die Meisten finden es cool. Einige denken auch, dass es gefährlich ist, aber das Argument kann ich nicht zählen lassen. Manche meiner Kollegen würden sogar gerne selber mitmachen“, berichtet Fritz.

So können sich alle Beteiligten auf ein tolles Ereignis freuen, bei dem Spaß, Unterhaltung und das Erlebnis im Vordergrund stehen. Die 63,09 Meter Weltrekord werden beide Stuttgarter Teams wohl nicht erreichen. Das weiß auch Don Canallie-Kapitän Fritz, dem es vornehmlich um andere Dinge geht: „Wenn das Wetter schön ist und man hängt da am Rhein rum, wird es sicherlich ein Mordsspaß. Dort werden viele lustige Leute mit lustigen Ideen sein – und dann verbindet einen ja auch noch das Fliegen in den Rhein rein.“