Die Red Hot Chili Peppers legen ihr neues Album "I'm with you" vor. In die großen Fußstapfen von Frusciante tritt Josh Klinghoffer.  

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Rick Rubin ist zweifellos der Weltbeste seines Fachs. Wie kein anderer vermag es der US-Meisterproduzent, Unterhaltungsmusik zu entschlacken, bis beim Aufnahmeprozess im Tonstudio nur noch das Knochengerüst, die harte Substanz eines Songs bestehen bleibt. Immer. Oder fast immer. Denn auch der versierteste Profi greift mal daneben. Bei Metallicas letztem Album "Death Magnetic" hat er es mit der Kompression und der Aussteuerung so sehr übertrieben, dass sich sogar der Mastering-Toningenieur von dem Werk distanzieren musste. Auch beim vorletzten Album der Red Hot Chili Peppers, dem 2002 erschienenen und richtig matschig produzierten Album "By the Way", hat der zottelige Rick Rubin wohl einen "bad hair day" erwischt.

 

Rubin verantwortet als Produzent alle Alben des Quartetts seit dem 1991 veröffentlichten fünften Album "Blood Sugar Sex Magik" mit seinen Krachern "Suck my Kiss", "Give it away", "Under the Bridge" und "Otherside". Der Hit "Californication" vom gleichnamigen Album fällt ebenso unter seine Regie wie "Dani California" und "21st Century" vom letzten, vor fünf Jahren erschienenen Doppelalbum "Stadium Arcadium". Rubin hat mit dem Quartett also auch jede Menge ziselierte, fein austarierte, melodisch zur Extragüte ausgereifte und längst zu Klassikern gereifte Nummern vorgelegt.

Rubin ist wieder auf der Höhe seiner Schaffenskraft

Kurzzeitig beschleicht einen also Verwirrung, weil das Eröffnungsstück "Monarchy of Roses" des neuen Chili-Peppers-Albums namens "I'm with you" mit einem dreißigsekündigen dissonant-freejazzigen Kuddelmuddel aus Bläsereinsprengseln, Gitarrengeschrammel und Trommelgewaber in Proberaum-Soundqualität beginnt. Doch dann wird alles gut: Nach drei Snare-Drum-Schlägen windet sich der Song in eine munter pulsierende Popnummer hinein, die auch aus der Feder von Blondie stammen könnte. Es ist ein Lied, das so kristallin und blitzsauber produziert worden ist, dass man sofort spürt, dass Rubin hier wieder auf der Höhe seiner Schaffenskraft ist - und so bleibt es auch beim Rest dieses vorzüglich aufgenommenen Albums.

Das Augenmerk muss sich aber vor allem auf die Frage richten, wie das erste Album der Red Hot Chili Peppers ohne ihren langjährigen Gitarristen John Frusciante auskommt. Der hatte die Band 1992 schon einmal verlassen - seinerzeit mitten auf einer Tour durch Japan und mit der interessanten Begründung, dass er den kommerziellen Erfolg der Band nicht verkraften könne und lieber vor kleinerem Publikum spielen wolle. Frusciante, Prototyp eines so aufrichtigen wie rastlosen Künstlers, stieg 1998 wieder ein und 2008 endgültig aus - die zehn (!) Soloalben, die er in dieser Zeit nebenher veröffentlichte sowie die zahlreichen Kooperationen mit anderen Musikern (er spielte allein auf fünf Alben von The Mars Volta mit), waren längst Indiz genug, dass Frusciante musikalisch komplexere Wege einzuschlagen gedachte.

Die Fußstapfen kann Klinghoffer per se nicht ausfüllen

Die Nachfolge hat sein alter Kumpel Josh Klinghoffer angetreten. Es ist ein schweres Erbe. Nicht nur, weil die Saitenkünste des wirklich exzellenten Gitarristen Frusciante oftmals tatsächlich an dessen großes Idol Jimi Hendrix heranreichten; vor allem, weil eben sein sprudelnder Einfallsreichtum, seine Vorliebe für den ambitionierteren Weg, seine durchdachten Songstrukturen und sein unbedingter Wille zu künstlerischer Einzigartigkeit den Red Hot Chili Peppers überhaupt erst ihren Ausnahmestatus gesichert haben.

Die Fußstapfen sind also so groß, dass Klinghoffer sie per se nicht ausfüllen kann. Mit Sicherheit wird ihm zwar nun vielfach attestiert werden, dass er seinen Job sehr wohl redlich ausfüllt, als Bandmitglied längst akzeptiert sei und die Gitarre auf diesem Album zwar nicht so dominant auftrete wie noch unter Frusciante, aber dennoch füllig. Doch Frusciante setzte bei den Chili Peppers die Duftmarken - und was Klinghoffer macht, klingt epigonal. Den Part des dominierenden Instruments hat bei den Chili Peppers indes der Spieler eines Rhythmusinstruments übernommen, der Bassist Flea. Er hat schon immer den Sound der Band entscheidend mitgeprägt, und vielleicht mag es auch an den Fähigkeiten liegen, die er nach dem letzten Album durch ein zweijähriges Musikstudium erworben hat, dass Flea nun das Heft in die Hand nimmt.

Das Album klingt geschlossener als der Vorgänger

Das Muster der Songs bleibt jedoch das gleiche. Fleas Funkrockbass, auch er exzellent eingespielt, dazu Chad Smiths Schlagzeug, etwas Gitarrengegniedel und auf fünf der 14 Songs auch ein Keyboard, darüber die Stimme des Sängers Anthony Kiedis - fertig sind Stücke, die allesamt reif und solide geraten sind, so wie man es von einer Band dieser Güteklasse erwarten darf, deren drei knapp fünfzigjährige Stamm-Musiker dreißig Jahre Erfahrung mitbringen.

Das Album klingt in sich auch deutlich geschlossener als der Vorgänger "Stadium Arcadium". Experimentierfreude hingegen sucht man auf ihm vergebens. Das Auftaktstück, das gewiss die Radiohitnummer dieses Albums werden wird, geht in Richtung Disco, in "Did I let you know" gibt es einen zaghaften Offbeat und sogar eine schneidige Trompete, im Abschlussstück "Dance Dance Dance" noch einen ziemlich lauen, nur Fragment bleibenden Calypsobeat zu hören. Scharfe Brechungen, abgründige Wendungen, unausgelatschte Pfade? Fehlanzeige, die gibt es hier nicht.

Das Publikum wird zu den Konzerten strömen

Bleibt die Frage, ob mit Frusciante alles ganz oder zumindest etwas anders gekommen wäre. Sie ist natürlich hypothetisch, unberechtigt jedoch nicht. Er ist nicht nur ein exzellenter Musiker, sondern auch ein Studioperfektionist. Zuletzt spielte er mit der Experimentalband Swahili blonde, dem Elektronoiseprojekt Speed Dealer Moms und Omar Rodriguez-Lopez von The Mars Volta. Durch die Bank schuf er dabei außerordentlich hörenswerte Sachen, kommerziell übrigens auch gar nicht so erfolglos, wie man vermuten könnte.

Aber kein Vergleich natürlich zu den Red Hot Chili Peppers, die - da muss man kein Prophet sein - mit ihrem Album weltweit die Chartspitzen erobern werden und in wenigen Wochen zu einer (gewiss ausverkauften) Europatournee aufbrechen werden. Das Publikum wird strömen - aber nicht wegen des neuen Albums, sondern weil es sich nach den guten alten Hits der Red Hot Chili Peppers sehnt.

Das Cover, der neue Gitarrist und die Tournee

Artwork: Die Gestaltung des Albums und Booklets mit Insektensymbolik hat der britische Künstler Damien Hirst übernommen, der mit in Formaldehyd eingelegten Tierkörpern sowie einem diamantenbesetzten Platinabguss eines menschlichen Schädels mit dem Titel „For the Love of God“ Aufsehen erregte. Das Werk wurde 2007 für 75 Millionen Euro verkauft. Hirst gilt als der weltweit reichste Künstler.

Nachfolger: Der Multiinstrumentalist Josh Klinghoffer aus Los Angeles arbeitete vor seinem Bandeinstieg als Session- und Livemusiker unter anderem für Gnarls Barkley, PJ Harvey und Beck. Und er war Drummer der Band Warpaint.

Tournee: Die Red Hot Chili Peppers spielen im Oktober und Dezember in Deutschland. Die Konzerte in Köln und Frankfurt sind ausverkauft, für die Auftritte in Hamburg (9. Oktober), Berlin (4. Dezember) und München (5. Dezember) gibt es noch einige wenige Resttickets.