US-Präsident Barack Obama muss mit seiner Rede zur Lage der Nation die weit verbreitete Enttäuschung über seine Politik bekämpfen.

Washington - Es wird die vielleicht wichtigste Ansprache, die Barack Obama in seiner fünfjährigen Amtszeit als US-Präsident halten muss. Wenn Obama am Dienstagabend amerikanischer Zeit (Mittwochmorgen deutscher Zeit) vor dem US-Kongress seine Rede zur Lage der Nation hält, muss er wie selten zuvor in der US-Bevölkerung um Vertrauen werben. Die Enttäuschung über seine Politik ist groß. Im Vorjahr wollte Obama wenig gelingen. Die Amerikaner, glaubt man Meinungsumfragen, halten ihn inzwischen zwar weiter für einen sympathischen Mann, aber nur für einen durchschnittlichen Präsidenten.

 

Die Rede soll nun Debakel wie die NSA-Affäre, die leere Drohung, mit einem Militärschlag in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, und hausgemachte Probleme wie die vorübergehende Stilllegung der US-Verwaltung und das Chaos um die Gesundheitsreform vergessen machen, signalisiert das Weiße Haus und verspricht: Die Amerikaner werden einen selbstbewussten Obama erleben, der sich nicht mehr vom zerstrittenen Kongress an der Nase herumführen lassen will.

„Wie ein Ministerpräsident“

Einer der wichtigsten Berater des Präsidenten hat das Problem am Wochenende in einem kurzen Memo beschrieben. Obama habe in der Vergangenheit zu oft „wie ein Ministerpräsident“ gewirkt, der auf das Parlament Rücksicht nehmen muss. Das solle sich nun ändern, schrieb Dan Pfeiffer. Obama werde künftig mehr Anordnungen kraft seines Amtes als Präsident treffen.

Damit vollzieht Obama einen bemerkenswerten Kurswechsel. Der Ton in Washington könnte noch schärfer werden. Aber Obama reicht es offenbar. Seit die Republikaner im Jahr 2010 die Mehrheit der Abgeordneten im Repräsentantenhaus stellen, die Demokraten aber nur den Senat dominieren, sind Blockadetaktiken zum wichtigsten Merkmal der US-Politik geworden. Nur mit Mühe gelang es etwa, die Schuldenobergrenze der USA im vergangenen Herbst zu erhöhen. Auch wichtige Vorhaben wie die Reform des Einwanderungsrechts, ein neues Steuersystem oder der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wurden immer wieder wegen des Streits zwischen Demokraten und Republikanern verschoben.

Neuen Schwung erhofft

Möglicherweise wird sich daran auch nach den Teilwahlen zu Senat und Repräsentantenhaus im kommenden Herbst nichts ändern. Experten sagen voraus, dass die Mehrheitsverhältnisse bleiben wie sie sind, oder sich sogar zu Gunsten der Republikaner verändern. Kommt es so, dann würde Obama auch in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit einer Front aus Blockierern gegenüber stehen.

Seit Jahresbeginn haben Obamas Berater im Weißen Haus Werbung für den neuen Kurs gemacht. Wie es heißt, will Obama in seiner Rede am Dienstag zum Beispiel Pläne vorstellen, wie die Kluft zwischen Armen und Reichen in den USA geschlossen werden kann. Dabei werde er zugleich ankündigen, dass er das auch ohne Unterstützung des Kongresses machen wird. Der ziert sich bislang, Geld dafür freizugeben. Auch plant Obama, seine Ideen für mehr Klimaschutz in den USA unter größtmöglicher Umgehung parlamentarischer Debatten durchzusetzen.

Für die Zeit nach der Rede sind mehrere Reisen in die US-Provinz geplant. Dort will Obama etwa Mittelständler anhalten, mehr Langzeitarbeitslose einzustellen. Auch Universitäten und Colleges müssen in den kommenden Wochen mit dem Besuch des Präsidenten rechnen, der für neue Lehrpläne und Ausbildungsmethoden wirbt, mit denen junge Amerikaner bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen sollen.

Ausland eher zweitrangig

Die Demokraten erhoffen sich von Obamas Rede einen Schwung für den Wahlkampf und haben den Präsidenten aufgefordert, am Dienstag die fortschrittlichsten Ideen zu präsentieren, die ihm nur einfallen. Dagegen wandten sich bereits Sprecher der Republikaner. Eine neue liberale Wunschliste aus dem Munde Obamas zu hören, werde dem Land auch nicht helfen.

Das Ausland dürfte in diesem Jahr während der Rede zur Lage der Nation nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vor zwölf Monaten hatte Obama noch euphorisch von den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union gesprochen. Doch dann kam die Affäre um die weltweite Schnüffelei des Geheimdienstes NSA dazwischen. Selbst Obama-freundliche Gruppierungen wie die Lobbyisten von „MoveOn“ fürchten negative Auswirkungen, sollte Obama am Dienstag die Spionageprogramme verteidigen. Dazu wird es aber aller Voraussicht nach nicht kommen. Das hat der Präsident schon Ende vorletzter Woche erledigt.