Bei seiner 5. Rede zur Lage der Nation kommt es nicht so sehr darauf an, was der US-Präsident zu sagen hat. Wichtiger wird es sein, wie er seine Meinung vorträgt.

Washington - Schon am 26. März vergangenen Jahres hat US-Präsident Barack Obama verraten, wie er im Falle einer Wiederwahl in seiner zweiten Amtszeit agieren will. Während eines Gesprächs mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, bei dem es um den russisch-amerikanischen Streit über ein Raketenabwehrsystem ging, sagte Obama: „Das ist meine letzte Wahl. Nach meiner Wahl werde ich mehr Flexibilität haben.“ Die Mikrofone waren damals nicht abgeschaltet, die Welt hörte, was sie eigentlich nicht hätte hören sollen.

 

Am Dienstagabend nun wird die Welt ganz ungehindert mithören dürfen, was Obama zu sagen hat. Der US-Präsident hält vor beiden Kammern des US-Kongresses seine fünfte Rede zur Lage der Nation seit Amtsantritt im Januar 2009. Es wird seine wichtigste „State of the Union“-Ansprache werden – eine Definition dessen, was Obama unter Flexibilität versteht.

Seit Tagen bereits wird die Öffentlichkeit in den USA mit Andeutungen versorgt. Stimmen die Hinweise, die aus dem Weißen Haus gezielt gestreut werden, dann wird Obama einen thematischen Dreiklang setzen. Im Kern wird es um die Schaffung von Arbeitsplätzen gehen, um bessere Bildung und um den wirtschaftlichen Aufschwung. Zudem möchte der Präsident verdeutlichen, dass der Abbau der Staatsschulden um jeden Preis kein geeignetes Mittel sei, um diese Ziele zu erreichen, auch wenn natürlich das Defizit verringert werden müsse, Steuerschlupflöcher geschlossen und der Sozialstaat zukunftsfest gemacht. Der Präsident wird auch eine Verschärfung der Waffengesetze sowie die Gleichbehandlung von Frauen und Homosexuellen in den USA fordern und eine neue Initiative zur atomaren Abrüstung vorstellen.

Ein Vortrag mit Pomp und Pathos

Das klingt nach einem gewaltigen Programm für Obamas zweite Amtszeit und dürfte vom Präsidenten – wie bei Reden zur Lage der Nation üblich – mit einigem rhetorischen Pomp und Kitsch vorgetragen werden. Das Programm allerdings ist nicht neu. Obama ist mit genau diesen Forderungen in den Wahlkampf des Jahres 2012 gezogen und hat genau diese Ideen vor einigen Wochen in seiner Antrittsrede vor dem Kapitol in Washington in den Vordergrund gestellt.

Obamas fünfte Rede zur Lage der Nation dürfte daher weniger wegen ihres Inhalts Bedeutung erlangen als wegen des Tons, in dem sie gehalten wird. Der Vortrag werde aggressiv sein, sagten Berater des Präsidenten. Ganz im Unterschied zu seiner Siegesrede am Abend des 6. Novembers 2012, als der erste schwarze US-Präsident nur Minuten nach seiner Wiederwahl zur Versöhnung aufrief.

Die zu erwartende Schärfe der Rede ist dem nächsten US-amerikanischen Wahlkampf geschuldet. Obama hat nicht viel Zeit, sein Programm durchzusetzen. Im Herbst 2014 müssen sich zahlreiche Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses der Wiederwahl stellen. Spätestens ab dem Frühsommer kommenden Jahres wird wieder alle Energie in die Wahlkampagnen gesteckt, wird jedes politische Vorhaben nicht mehr auf seine Sinnhaftigkeit geprüft, sondern nur noch darauf, ob es Wähler verschrecken könnte.

Obamas Nachfolger müssen sich in Stellung bringen

Und gerade so wird es nach dem Herbst 2014 weitergehen. Ein drittes Mal darf Obama nicht antreten – potenzielle Kandidaten der Demokraten wie der Republikaner müssen aber spätestens im Laufe des ersten Halbjahres 2015 damit beginnen, sich zu positionieren. Da wird keine Zeit mehr sein, progressive und liberale Politik zu betreiben. Da wird es nur um Zuspitzung und Versprechen gehen. Obama läuft die Zeit davon.

Das allein ist Grund genug für eine aggressive Rede zur Lage der Nation an diesem Dienstag. Ein weiterer Grund ist der Zustand, in dem sich die republikanische Partei nach der verheerenden Wahlniederlage ihres Kandidaten Mitt Romney befindet. Die Republikaner haben mittlerweile begriffen, dass sie eine Partei sind, deren Kandidaten – zugespitzt formuliert – nur noch von alten, weißen Männern gewählt werden. Sie haben noch keine Antwort auf die drängende Frage gefunden, warum sie überhaupt noch gewählt werden sollten.

Die konservative Blockadepolitik der letzten Jahre jedenfalls ist völlig gescheitert. Ob Einwanderungsreform, Abbau der Staatsschulden, Gleichstellungspläne – die Republikaner haben jeden Plan Obamas verhindert, nur um Anfang November feststellen zu müssen, dass die US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler das gar nicht wollten.

Immerhin scheinen die Republikaner mittlerweile zumindest erkannt zu haben, dass sie ein Problem haben. Sie waren zum Jahreswechsel in Steuerfragen erstaunlich biegsam. Sie sind erstaunlich leise in ihrem Protest gegen schärfere Waffengesetze. Sie haben Marco Rubio aufgeboten, der im Anschluss an Obama die Gegenrede zur Lage der Nation aus konservativer Sicht halten soll. Der Senator aus Florida ist jung, und er ist ein Latino.

Die Republikaner haben Angst. Das macht es Obama leichter, am Dienstagabend aggressiver als gewohnt aufzutreten.