In seiner Rede an die Nation schwingt der russische Präsident Wladimir Putin die atomare Keule, er demonstriert die Macht seines Landes und verspricht den Bürgern eine rosige Zukunft. Es ist eine Art Wahlkampfrede.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Es ist so, als stünde da einer, der eines Tages unfassbar verletzt worden war. Der viel um die Anerkennung gerungen hatte und doch nur die kalte Schulter zu spüren bekam. „Niemand wollte mit uns sprechen“, sagt Russlands Präsident Wladimir Putin, als er am Donnerstag zur Mittagszeit vor der blauen Wand in der Moskauer „Manege“ steht, einer früheren Paradehalle für Reitvorführungen. Auf der Leinwand hinter sich hat er gerade Filme von neuen Interkontinentalraketen, atombetriebenen Marschflugkörpern und Torpedos aus russischer Produktion präsentiert, eine Dreiviertelstunde lang die Errungenschaften der Streitkräfte des Landes gelobt. Es ist die russische Art zu zeigen: Wir sind mächtig, ihr könnt uns nichts.

 

Eine Aufteilung in „Wir“ und „Ihr“ ist unabdingbar im Politikverständnis des russischen Systems. „Niemand hatte uns zugehört. Hört uns jetzt zu“, sagt er im Hinblick auf „Russlands Partner im Ausland“. Sein Publikum – mehrere Hundert Würdenträger aus russischer Politik, Kirche und Gesellschaft – springt auf und klatscht lange Beifall im Stehen.

Putin gibt einen Ausblick auf seine nächste Amtszeit

Mit der großen Rede an die Nation, so heißt es in der russischen Verfassung, wendet sich der Präsident einmal im Jahr an die beiden Kammern des russischen Parlaments und legt Rechenschaft über sein politisches Handeln ab. Aber dieses Mal ist vieles anders.

Der Auftritt findet nicht wie gewohnt im Dezember statt, auch nicht unter den schweren Lüstern des Kreml. Putin will in knapp drei Wochen erneut Russlands Präsident werden. Es gibt kaum einen Zweifel daran, dass er das Land in den kommenden sechs Jahren auch regieren wird. Ein Wahlprogramm war er dem Volk aber bislang schuldig geblieben. Die Rede, die die Russen „Botschaft“ nennen, liefert genau das: einen Ausblick auf seine neue Präsidentschaft. Mehrmals spricht der sichtlich gealterte und immer wieder hustende Präsident vom „Sechsjahresplan“ und zieht Vergleiche zur Sowjetunion, um zu zeigen, dass sich das moderne Russland davon entfernt und mehr zu bieten habe. Mit Grafiken untermauert er diese These. Zahlen von der Steigerung der Ernteergebnisse erinnern dabei allerdings arg an sowjetische Lobhudeleien und wie hart doch das Volk zum Wohle der Nation arbeite.

Russen sollen reicher werden und besseres Wasser trinken

In den nächsten Jahren sollen die Russen laut Putin reicher werden, sich vermehren, in neueren Häusern leben und besseres Wasser trinken. Jeder einzelne Mensch stehe im Fokus seiner Präsidentschaft, sagt er. Er wolle für mehr Freiheit sorgen, die Zivilgesellschaft stärken, eine unabhängige Justiz schaffen, die Infrastruktur verbessern, mehr in Bildung, Gesundheit und Digitalisierung investieren. Ein Idealbild des Landes zeichnet Putin, obwohl viele Straßen in Russland marode sind, die Dächer in den Schulen bröckeln, der Schnee in manchen Gegenden rot oder schwarz vom Himmel fällt und viele Menschen sterben, noch bevor sie das Rentenalter erreichen. „Der Rückstand ist der Feind“, sagt Putin und verspricht höhere Wirtschaftszahlen als in jedem anderen Land der Welt.

Wie er all diese Träume finanzieren will, erklärt der Präsident nicht. Vielmehr bekräftigt er in seiner zweistündigen Rede die Rolle eines starken, mutigen Russlands, das „immer seinen eigenen Weg gehen wird“ – deshalb der Stolz bei der Präsentation der Raketenvideos. Die Bilder, die an Aufnahmen aus Nordkorea erinnern, mögen irritieren. Das sollen sie im Ausland wohl auch. Aus russischer Sicht aber sind sie keine Drohung, keine Bestätigung Russlands als Aggressor. Nach innen sind sie ein Symbol der zuverlässigen Sicherheit. Für den Präsidenten gar eine Einladung ans Ausland, sich an den Verhandlungstisch zu begeben und mit ihm die Probleme der Welt zu klären. „Ehrlich und gleichberechtigt“, wie Wladimir Putin betont. Diese Worte zeigen erneut sein Ringen um die Anerkennung durch andere.