Der Osten der Ukraine stimmt über die Abspaltung von Kiew ab. Das ist eine ziemlich provisorische Angelegenheit, wie unsere Autorin Nina Jeglinski erfahren hat. Pappkartons dienen als Urnen und es gibt weder Wahllisten noch Kabinen.

Donezk - Der Andrang ist gewaltig. Bereits am frühen Morgen ist in der Schule Nummer sieben in Donezk der Rentner und frühere Bergmann Viktor Petroschenko unterwegs. „Wir gehören zu Russland, haben kulturelle, geschichtliche und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten. Der heutige Weg ist der richtige“, sagt der 62-Jährige. Doch auch auffallend viele junge Leute stimmen für die Abspaltung der Regionen Donezk und Lugansk von der Ukraine. „Ich sehe mich nicht mehr als Teil der Ukraine“, sagt Anja Tscherkass, die 29-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin verspricht sich von dem Votum mehr Selbstbestimmung. Die Führung in Kiew habe sich nie für diese Region und die Meinung der Menschen interessiert. „Heute erhalten sie dafür die Quittung“, sagt sie.

 

Wenige Fußminuten entfernt liegt das Wahllokal Nummer 3, in der feinen Puschkinstraße mit edlen Geschäften wohnt die Donezker Mittelklasse. Olga Korotkowa ist dort Leiterin des Wahllokales. Sie erklärt, dass sie die Wahllisten von 2012 verwenden, jedoch haben die Bürger auch die Chance, sich nachträglich in die Listen aufnehmen zu lassen. Dazu muss der Personalausweis und die aktuelle Meldebestätigung vorgezeigt werden. „Die meisten Wähler stehen aber in unserer Liste“, sagt Korotkowa. In den Wahllokalen in der Innenstadt von Donezk hat die Wahlleitung für Wahlkabinen, transparente Urnen sowie Wahllisten gesorgt. Doch schon in den Nebenbezirken der Stadt Donezk, etwa in Kalinski, finden sich in der Schule Nummer drei weder Kabinen noch Wahllisten. Die Wähler zeigen dort ihren Pass und füllen den Wahlzettel für alle sichtbar am Tisch aus. Die Stimmzettel landen in den meisten Fällen ungefaltet in einer Urne.

Pappkartons dienen als Urnen

Noch provisorischer verläuft die Abstimmung in Makejewka. Die Bergarbeiterstadt liegt ganz in der Nähe von Donezk. Vor dem Stadtparlament sind Tische aufgebaut, Pappkartons dienen als Urnen. Es gibt weder Wahllisten noch Kabinen. „Ich finde nichts dabei“, sagt Sergej. Der 62-Jährige kommt im Tarnanzug zur Abstimmung und ist sich sicher, dass „eine übergroße Mehrheit für die Unabhängigkeit“ stimmen wird. Auch in Makejewka sind die Schlangen den ganzen Tag über lang. Der Zutritt ins Stadtparlament ist nicht gestattet, im Foyer stehen mit Maschinengewehren Bewaffnete. Am Mittag bewachen sie eine Gruppe Männer, die durch den Hintereingang kistenweise Kartons mit Wahlzetteln ins Gebäude schaffen.

Für die Regierung in Kiew ist das Referendum „eine kriminelle Farce“, wie sie auf ihrer Internetseite mitteilt. Einhellig beteuern alle Regierungsparteien und die im Präsidentschaftswahlkampf befindlichen Politiker, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Donezk und Lugansk sich nicht an der Abstimmung beteiligen würden. Die Beobachtungen in der Ostukraine geben jedoch ein ganz anderes Bild ab.

Es scheint so, als würden jene, die für die Unabhängigkeit von der Ukraine stimmen, ganz bewusst zur Wahl gehen. Diejenigen, die das Referendum ablehnen und sich von Putin distanzieren, sind zu Hause geblieben. Viele vermutlich aus Angst vor Repressionen und weil sie den Volksentscheid für rechtswidrig halten. Eine Gruppe Donezker Studenten, von denen keiner bereit ist, auch nur seinen Vornamen zu nennen, bringt es auf den Punkt: „Das Referendum ist von Anfang an gefälscht, es ist vollkommen sinnlos abzustimmen.“

Petro Poroschenko will nach Donezk und Lugansk reisen

Sollte am 25. Mai bei den Präsidentschaftswahlen wie geplant ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden, wird es für die politische Führung in Kiew eine der wichtigsten Aufgaben sein, den Gesprächsfaden mit den Vertretern der Ostukraine wiederaufzunehmen. Der aussichtsreichste Kandidat, der Unternehmer Petro Poroschenko, hat bereits angekündigt, dass seine erste Reise, sollte er Präsident werden, nach Donezk und Lugansk gehen werde.