Bei der Volksabstimmung in Lettland könnte Russisch am Samstag zur zweiten Amtssprache gewählt werden. Doch es geht um mehr als einen Sprachenstreit.

Als Lettland - „absurde Vorstellung“ hatte Lettlands Präsident Andris Berzins das Referendum zunächst abgekanzelt und versichert, dass er sich nicht daran beteiligen werde. Inzwischen hat Berzins umgedacht. Jetzt gelobt er, am Samstag mit „Nein“ zu stimmen, und er fordert seine Landsleute auf, es ihm gleichzutun.Für absurd hält er die Abstimmung immer noch, doch nicht nur ihn hat die Angst vor einer bösen Überraschung gepackt.

 

Es geht um die Forderung, Russisch zur zweiten Amtssprache zu erheben, was in letzter Konsequenz dazu führen würde, das Idiom Puschkins und Dostojewskis auch zur offiziellen EU-Sprache zu machen. In Lettland ist das mehr als ein Streit über die Nutzung einer Sprache, die ohnedies fast alle können. Für die Letten ist es eine Frage der nationalen Existenz. Für die russischsprachige Minderheit, die immerhin ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, geht es darum, „nicht länger Bürger zweiter Klasse“ zu sein, wie es Wladimir Linderman, der Initiator des Referendums, ausdrückt.

Das geschichtliche Erbe

Es geht auch um das geschichtliche Erbe. Während bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine starke russische Gruppe voll integriert in Lettland lebte, veränderte das Sowjetregime nach dem Krieg die Bevölkerungsstruktur radikal: Zehntausende von Letten wurden nach Sibirien deportiert, Hunderttausende von Russen nach Lettland umgesiedelt. Russisch war die offizielle Sprache, Russen wurden bevorzugt, wenn es um Jobs und Wohnungen ging. Als sich Lettland befreite, drehten die lettischen Nationalisten den Spieß um. Jetzt galt nur noch Lettisch als opportun, Russen bekamen, auch wenn sie in Lettland geboren waren, die Bürgerrechte nur nach einer Sprachprüfung. Die Folge: 20 Jahre nach der Befreiung haben immer noch 15 Prozent der Bevölkerung den Status als „Nicht-Bürger“.

„Nur in Lettland wird Lettisch gesprochen. Wenn wir die Sprache nicht schützen, stirbt sie aus“, verteidigt Parlamentspräsidentin Solvita Aboltina den Status der einzigen Staatssprache, der sogar in der Verfassung verankert ist. Offiziell wird diese Haltung von allen lettischen Parteien geteilt. Daher galt das Unterfangen als hoffnungslos, als der radikale russische Nationalist Linderman eine Unterschriftensammlung für die Aufwertung seiner Muttersprache startete. Doch zur Überraschung aller unterzeichneten 183 046 Wähler die Petition, was die erforderliche Zahl deutlich übertraf.

Da das Parlament den Antrag, Russisch zur Staatssprache zu machen, ohne Gegenstimme verwarf, muss die Frage laut Verfassung einem Referendum vorgelegt werden. Die Hürde für das Gelingen ist hoch: mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten müsste mit Ja stimmen. Erforderlich sind so 771 350 Jastimmen, was für die Minderheit unerreichbar erscheint. Zwar ist rund ein Drittel der 2,3 Millionen Einwohner russischsprachig, aber die 320 000 Nicht-Bürger haben kein Stimmrecht. Dennoch reagieren die lettischen Wortführer zunehmend nervös. Berzins kündigte an, er werde abtreten, wenn das Referendum mit einem Ja ende.