Amerikas Superhelden sind nicht mehr ganz die alten Recken. Das stört rechte Comic-Fans schon länger. Nun schockt sie auch noch Supermans Sohn und Nachfolger Jon.

Stuttgart - Die Vereinigten Staaten sind fest in den Händen der Linksradikalen. Das wird nicht nur von den irrsten Gefolgsleuten Donald Trumps verbreitet, das sehen auch etliche Fans traditioneller Superhelden so. Seit ein paar Jahren schon müssen sie nämlich erleben, dass sich in die Welt knallbunt kostümierter Übermenschen, Mutanten, Aliens und Cyborgs zusätzlich noch eine mildere Form der Diversität schleicht: Mal hat jemand eine andere sexuelle Orientierung als einhundert Prozent Hetero, mal findet jemand, die USA seien mit ihren vielen sozialen und politischen Problemen nicht mehr unbedingt das Licht der Welt.

 

Ein Super-Zungenkuss

Das wird von ein paar angewiderten Lesern schon länger zum linksdiktatorischen Umerziehungsterror hochstilisiert. Aber so giftig wie jetzt reagierten die rechten Kulturkämpfer selten. Denn ausgerechnet im Superman-Universum, beim dienstältesten Comic-Supermaxe überhaupt, findet der Wachwechsel statt. Der durch viele Kämpfe gegangene Vater übergibt das Cape an seinen Sohn. Und dieser Jon, der „Superman des 21. Jahrhunderts“, wie ein Comic-Cover rühmt, entpuppt sich als schwul.

Zunächst war es bloß ein Gerücht, aber eines, das sofort für Hohn und Hetze sorgte. Mittlerweile hat der Comic-Verlag DC offiziell bestätigt: im fünften Heft der auf sechs Bände angelegten Miniserie „Superman – Son of Kal-El“ (im Original erscheint es am 9. November, eine deutsche Ausgabe des Ganzen lässt noch auf sich warten) wird der 17-jährige Jon erstmals einen Zungenkuss mit einem gleichaltrigen Burschen tauschen.

Ganz stramme Patrioten

Der Wahnsinn der „SJWs“, heult es durch die sozialen Netzwerke, kenne keine Grenzen, alles Traditionelle wollten sie zerstören. SJW, das ist das Kürzel für Social Justice Warrior, Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, längst ein Kampfbegriff der Rechten, der sich gegen alles und jeden richten kann, der nicht wenigstens die Sklaverei wieder einführen und Sturmgewehrschießen zum Pflichtfach im Kindergarten machen möchte.

Seit einigen Jahren haben die Verteidiger strammer Hetero- und Patriotismusnormen in der Comicwelt zu einer informellen Gruppe zusammengefunden, die man „Comicsgate“ nennt. Deren Wortführer, etwa der früher selbst für Superhelden-Comics zeichnende Ethan Van Sciver, beklagen die Selbstzerstörung der Kreativwirtschaft durch besinnungsloses Anbiedern an linke Gesinnungsmoden.

Fakten stören mal wieder nur

Die Zersetzung der Comicwelt durch „Linksradikale“ sei möglich, so Sciver, weil die Comicverlage heutzutage hoch verschuldeten Megakonzernen gehörten, die ihre Schuldenlast so lindern könnten. Denn die Regierung in Washington schütte verdeckt Fördermittel für unpatriotische und sexuell diversifizierte Superhelden aus. Dass sie den Verfall des Superheldenanstands schon in der Ära Donald Trump beklagten, als es gewiss keine Fördermittel für die angebliche linke Propaganda gab, stört die Comicgates-Fraktion dabei wenig. Fakten, Logik und Differenzierung müssen stets der momentan gerade griffigsten Polemik weichen.

Tatsächlich können die rechten Kämpen eine eindrucksvolle Liste umgepolter Superhelden herunterrattern: Batmans Sidekick Robin sei mittlerweile bisexuell (seit 2019), Catwoman sowieso (seit 2015), obendrein Aquaman (auch seit 2019), nun also der neue Superman. Und die Amazonenkriegerinnen auf Wonder Womans Heimatinsel seien auch schon zu Transfrauen uminterpretiert worden. Das wird gewiss manchen erstaunen, der US-Comics sonst nicht weiter verfolgt. Wer sich bei den Superhelden ein wenig auskennt, erkennt aber sofort: Hier wird maßlos verzerrt.

Sind wirklich alle bisexuell?

All die Kämpfer für das Gute, auch die Superschurken und die Grenzgänger sind nicht nur in Comics, TV-Serien und im Kino multimedial unterwegs. Schon in den Comics selbst sind die Helden in teils so vielen Varianten unterwegs, dass auch die Verlage und Autoren manchmal den Überblick verlieren. Nebeneinander her laufende Heftreihen, immer neue Miniserien, Graphic Novels und von allem abgekoppelte Einzelhefte bieten Paralleluniversen, unterschiedliche Epochen, abgespaltene Zeitlinien und pure Gedankenspiele.

Mittlerweile haben viele Heldenkostüme mehrere Träger und/oder Trägerinnen, fast jeder und jede davon ist mindestens einmal gestorben und irgendwann wieder auferstanden. Mal treffen mehrere Inkarnationen einer Figur spektakulär aufeinander, mal arbeiten sie zusammen, mal existieren sie strikt getrennt voneinander. Der bisexuelle Robin, die bisexuelle Catwoman, der bisexuelle Aquaman und nun ein Jungs küssender Superman sind jeweils nur vereinzelte Varianten unter lauter traditionelleren Versionen des Charakters. Und die Amazonen von Wonder Woman sind beileibe nicht alle Transfrauen. Es findet sich in ihren Riehen mittlerweile lediglich die ein oder andere Transfrau. Die Verlage testen mit solchen Anpassungen neue Märkte und neue Befindlichkeiten. Wer die klassischeren, vielleicht ja blickverengteren Comics mag, findet weiterhin reichlich Lektüre.

Weg mit dem „American Way“

Was die rechten Comic-Fans beunruhigt, sind wohl die große Medienaufmerksamkeit für sexuelle Neuinterpretationen – und im Fall Superman die guten Vorbestellungszahlen des angekündigten Kuss-Heftes. Es geht den Verächtern der Reform dabei auch um das Weltbild der Figuren, das sich tatsächlich ein wenig ändert. Der 1938 erstmals in einem Comic zu sehende Superman hatte als Programm stets „Truth, Justice and the American Way“. Sein Sohn Jon dagegen möchte nun für etwas leicht anderes eintreten: „Truth, Justice and a better World“. Außerdem solidarisiert sich Jon mit Asylsuchenden. Sein Vater, der einst als Säugling von einem fremden Planeten auf die Erde kam, sei ja auch einer gewesen, erklärt er.

Ethan Van Sciver spielt auf Youtube und Twitter meist den bitter Amüsierten über solche vermeintlichen Selbstschwächungen der USA. Die Hassausbrüche finden sich in den Kommentarspalten, wo die Fans verlässlich loswüten und herumhöhnen. Was bei all dem aber wieder mal unklar bleibt: Was am Kampf für eine bessere Welt denn so beschämend sein sollte, dass es nicht zu Superman passt.