„BR hoch drei“: der Bayerische Rundfunk hebt die Trennung von Radio, Fernsehen und Internet auf. Von einer Revolution ist die Rede, von einer Umwälzung, die es noch in keiner anderen ARD-Anstalt gibt. Diese Art der Vernetzung ist beim SWR jedoch schon seit 2011 Praxis.

Stuttgart - Im eigenen Sender hat Ulrich Wilhelm, 51, den Spitznamen „der Fehlerlose“. Und tatsächlich macht der vormalige Sprecher der Merkel-Regierung, der seit bald zwei Jahren in seiner Geburtsstadt München die Geschäfte des Bayerischen Rundfunks lenkt, nach außen bisher eine tadellose Figur. Die Erwartungen in München sind hoch, dass ihm nun die größte Reform in der Sendergeschichte möglichst reibungslos gelingt: Der BR soll trimedial werden. Ein Jahr lang haben sich an die 1000 BR-Leute in Projektgruppen intensiv mit der Frage befasst, wie Fernsehen, Radio und Internet bei Themenplanung und Recherche zusammenwachsen können. Intendant Wilhelm ging dann mit seinen Direktoren am herbstlichen Spitzingsee in Klausur, Rundfunk- und Verwaltungsrat gaben ihr Plazet. Und so ist „BR hoch drei“, wie die Reform intern firmiert, beschlossene Sache.

 

Aus dem Hörfunk- und Fernsehsender soll laut Pressemitteilung „ein Qualitätsanbieter von Audio- und Videoinhalten“ werden, die verstärkt auch über das Internet verbreitet werden. Die strikte Trennung zwischen Hörfunk, Fernsehen und Online wird aufgehoben. Aufgaben werden an den Standorten in der Innenstadt und am nordöstlichen Stadtrand in Freimann neu verteilt. Es entstehen neue Arbeitseinheiten, in denen Leute zusammengebracht werden, die bisher nichts oder nicht viel miteinander zu tun hatten. Und das alles soll nicht zuletzt den Qualitätsjournalismus stärken.

Das Internet hat journalistische Arbeitsprozesse verändert

Auch Bayern macht sich also auf den Weg in die digitale Zukunft. Auch dort hat man festgestellt, dass sich journalistische Arbeitsprozesse durch das Internet verändert haben; dass die Zersplitterung in viele verschiedene Fachredaktionen Manpower und Geld frisst; dass man sich nach Inhalten, nicht nach Sendekanälen aufstellen muss; dass der Reporter von morgen fotografiert, filmt und twittert – und handelt jetzt. Von einer Revolution ist gar die Rede, von einer Umwälzung, die es noch in keiner anderen ARD-Anstalt gibt.

Doch was die viertgrößte ARD-Anstalt da bis 2023 umsetzen will, also die größtmögliche enge journalistische Vernetzung der Mitarbeiter und die schnellstmögliche Verbreitung von Inhalten auf allen Ausspielwegen, ist beim SWR schon seit Anfang 2011 Praxis. In Mainz, Stuttgart und Baden-Baden wurden multimediale Newsrooms eingerichtet. SWR-Journalisten bereiten dort Nachrichten auf für Fernsehen, Hörfunk und Internet. Auch beim WDR wird Mehrmedialität bereits gelebt. Jeden Werktag tauschen sich die aktuellen Redaktionen aus Hörfunk, Fernsehen und Internet in einer Telefonkonferenz über ihre Planungen für den Tag aus. Wo sich Zusammenarbeit anbietet, wird sie praktiziert. Zuletzt und sehr erfolgreich war das der Fall beim trimedialen Event „Ein Tag Leben in NRW“, bei dem der WDR Menschen aufgerufen hatte, am 30. April ihr ganz normales Leben zu filmen.

Mit der Reform geht der Umbau einher

Die Vision des BR-Intendanten Wilhelm von der trimedialen Anstalt, die auch in Zukunft „stark, sichtbar und relevant“ bleibt, bedingt umfangreiche Baumaßnahmen. Weil sich der BR am Stammsitz in der Innenstadt nicht ausbreiten kann, entstehen am Fernsehstandort Freimann neue Studios und als Herzstück ein trimediales Aktualitätenzentrum. Die Radios (bis auf BR-Klassik) ziehen raus aus der Innenstadt. Unterhaltungssendungen wie „Grünwald“ kommen künftig nicht mehr aus München-Unterföhring, sondern von den noch verbliebenen zwei Standorten. Und das sanierungsbedürftige Funkhaus unweit des Hauptbahnhofs wird zu einer Art Kulturzentrum umgebaut, wo sich der BR als Kulturanstalt präsentieren will.

Vor 2018 müssen aber in München noch keine Umzugskisten gepackt werden. Im neuen Jahr geht es in die tiefere Planung, Architektenwettbewerbe müssen ausgeschrieben, Raumbedarf errechnet werden. All diese Sanierungs-, Um- und Neubaukosten – gerechnet wird mit fast 14 Millionen Euro jährlich bis 2022 – will der BR aus eigener Kraft stemmen und ohne, so betont der Intendant unermüdlich, an Programm und Personal zu sparen. Das wird aber im Sender bezweifelt.

Die Mitarbeiter befürchten Einsparungen

Woher soll das Geld für „BR hoch drei“ kommen? Anfang November wollen die festen Freien im BR bei Ulrich Wilhelm in einer Diskussionsrunde nachhaken. Sie befürchten, dass sie die Leidtragenden des Prozesses werden könnten, der zwangsläufig personelle Synergien schafft. Unklar ist ihnen, wie ihre Arbeit in den neuen Kompetenzeinheiten honoriert werden soll. Sie vermissen eine personelle und programmliche Vision ihres Intendanten.

Dass Ulrich Wilhelm seine Mitarbeiter in den Großreformprozess einbezieht, Entscheidungen transparent macht und Informationsveranstaltungen im Intranet streamen lässt, wird im BR allseits geschätzt. Elan und Euphorie des erprobten Kommunikators scheinen ansteckend. In einem Interview mit dem Bayerischen Journalistenverband zeigte sich Wilhelm erfreut, dass viele Mitarbeiter im BR sich stärker als ein Haus wahrnähmen: „Wir tauschen uns mehr aus.“ Das kann ja nur von Vorteil sein.