Gut möglich, dass die EU bald eine Reform ihrer Asylpolitik beschließt. Doch eine wichtige Frage ist noch offen. Worum es geht – und wer sich wohl durchsetzen wird.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Jetzt streiten sie doch. Dabei hatten sich die Ampelparteien zunächst fast geräuschlos auf eine Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Doch jetzt ist vor allem ein Punkt strittig: die Altersgrenze, die Familien mit Kindern ein reguläres Asylverfahren zusichern soll. Worum es geht, wer was will – und wie es ausgehen könnte.

 

Worüber genau wird gestritten? Die EU arbeitet daran, ihre gemeinsame Asylpolitik zu verschärfen. Ein zentraler Punkt der geplanten Reform: Wer aus einem Land kommt, aus dem nur ein geringer Anteil an Migrantinnen und Migranten Asyl bekommt, soll gar nicht erst in die EU einreisen dürfen, sondern ein Schnellverfahren an der EU-Außengrenze durchlaufen.

Einige schutzbedürftige Gruppen sollen allerdings von den ausgelagerten Verfahren ausgenommen sein. Dazu zählen Familien mit Kindern. Die EU-Kommission setzt die Altersgrenze für die Regelung bei 12 Jahren an. Die Bundesregierung will sie auf 18 Jahre hochsetzen.

Das ist auch innerhalb der Ampelkoalition strittig. Die Grünen betrachten den Schutz Minderjähriger als zentral, die FDP zeigte sich hingegen dafür offen, der Altersgrenze von 12 Jahren zuzustimmen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, er könne die Position der französischen Regierung nachvollziehen, die für eine Altersgrenze von 12 Jahren plädiert. Außenministerin Annalena Baerbock betonte hingegen kürzlich, dass Minderjährige und ihre Familien von den ausgelagerten Verfahren ausgenommen sein müssten.

Wie geht das aus? Das lässt sich noch nicht sicher sagen – aber es sieht stark danach aus, als liefe es auf die Regelung hinaus, die die EU-Kommission anstrebt: eine Altersgrenze von 12 Jahren. EU-weit steht Deutschland allein mit dem Wunsch da, das Alter hochsetzen zu wollen. Die Bundesregierung hat sich zudem vorgenommen, die GEAS-Reform nach Möglichkeit durchzubringen – und dafür im Zweifel auch Kompromisse einzugehen. Dass die FDP diese Position nun anzweifelt, macht es noch unwahrscheinlicher, dass Deutschland auf der höheren Altersgrenze beharren wird.

Die Grünen scheinen trotzdem darauf zu hoffen. Ihr Parteichef Omid Nouripour verwies bei einer Pressekonferenz am Montag darauf, dass die niedrigere Altersgrenze nicht mit der Kinderrechtskonvention vereinbar sei, weil Minderjährige nicht inhaftiert werden dürften. Ob sich dieses Argument juristisch wirklich durchsetzen kann, ist allerdings offen.

Um was für eine Reform geht es? Die GEAS-Reform soll einheitliche Regeln für die EU-Asylpolitik schaffen, die verbindlich sind. Das GEAS regelt, wie die Mitgliedsstaaten mit Geflüchteten umgehen und wie sie entscheiden, wer bleiben darf. Weil viele Länder sich über aktuelle Vereinbarungen hinwegsetzen und sie als ungerecht empfinden, will die EU das System reformieren.

Wie geht es weiter? Beim Ratstreffen am Donnerstag müssen sich die EU-Innenministerinnen und -Innenminister einigen – oder sich eingestehen, dass das Projekt absehbar nicht zustande kommen wird. Dann müssen sie auch über die Altersgrenze entscheiden. Weil in einem Jahr die nächsten Wahlen für das EU-Parlament anstehen, wäre es die letzte Gelegenheit, die Reform rechtzeitig durchzubringen.

Welche Reaktionen gibt es?

Der Kinderschutzbund kritisiert die Diskussion um die niedrigere Altersgrenze mit deutlichen Worten. Daniel Grein, der Bundesgeschäftsführer des Verbandes, sagte dieser Zeitung: „Kinder, Jugendliche und ihre Familien sind besonders schutzbedürftig. Darauf legt unser Grundgesetz besonderen Wert. Der FDP empfehle ich daher einen Blick in unsere Verfassung.“ Er betonte außerdem: „Unabhängig davon, wie man zu einer Praxis von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen steht, ist klar, dass Kinder und Jugendliche von solchen Verfahren ausgenommen bleiben müssen.“

Grein wies darauf hin, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf Bildung hätten und geeigneten Wohnraum bräuchten. Zudem seien gerade Kinder mit Fluchterfahrung auf medizinische, psychotherapeutische und sozialpädagogische Unterstützung angewiesen, so Grein „Das alles kann nicht in Massenunterkünften an den EU-Außengrenzen gewährleistet werden.“