SPD und Grüne lösen eine Debatte über Zukunft des Sozialstaats aus. Beide fordern die Reform des Systems der Unterstützung. Doch über die Wege wird gestritten.

Berlin - Rot-Grün hat einst Hartz IV eingeführt. Und SPD und Grüne sind es, die jetzt Hartz IV hinter sich lassen wollen. Bei der „Garantiesicherung“, die Grünen-Chef Robert Habeck vorschlägt, sind aber viele Fragen offen – genau wie bei dem „Bürgergeld“, das die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ins Gespräch bringt.

 

Die Grünen setzten die SPD unter Druck

Fest steht nur, dass die Grünen ihren früheren Koalitionspartner aus den Tagen von Gerhard Schröders Agenda 2010 gehörig unter Druck setzen. Schon lange hadern die Sozialdemokraten mit Hartz IV – also mit der Reform, ohne die sich die Linkspartei wohl nicht als Konkurrent der SPD gebildet hätte. Inzwischen lassen die Grünen in allen Umfragen die SPD weit hinter sich. Und für Habeck und Annalena Baerbock – die beiden übernahmen im Februar die Führung der Grünen – war immer klar, dass Partei sich verstärkt auch um soziale Themen kümmern müsse.

Ein erstes Ergebnis dieser Arbeit liegt nun vor und nennt sich „Garantiesicherung.“ Weil Hartz IV zu Abstiegsängsten führe und zudem die Digitalisierung den Arbeitsmarkt umkrempele, strebt Habeck eine „Garantiesicherung“ an, die existenzsichernd ist. Diese Zahlung, die oberhalb der heutigen Hartz-Sätze sein soll, bekommt, wer nachweist, dass er seinen Lebensunterhalt nicht aus Vermögen oder einem Job bestreiten kann. Im Gegensatz zu Hartz IV gibt es dabei keine Sanktionen: Die Unterstützung wird also auch dann gezahlt, wenn jemand nicht erwerbstätig sein will. Die Empfänger der „Garantiesicherung“ sollen mehr von dem Geld behalten dürfen, das sie sich neben dieser staatlichen Zahlung hinzuverdienen. Und deutlich großzügiger als heute wäre, was jemand vom Ersparten behalten darf. Mit der „Garantiesicherung“, so Habeck, wird nur Vermögen verrechnet, das 100 000 Euro übersteigt.

Es herrscht eine muntere Debatte

Mit ihrem Vorstoß haben die Grünen eine muntere Debatte ausgelöst. Zwar räumt Nahles ein, dass die Sanktionen für alle ehrlichen Personen verletzend seien. Die hätten das Gefühl, als werde allen Hartz-IV-Empfängern unterstellt, den Staat betrügen zu wollen. Ganz will Nahles aber auf Sanktionen nicht verzichten: „Niemand hätte Verständnis, wenn Regelverstöße oder der Missbrauch von Sozialleistungen ohne Konsequenzen blieben.“ Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) rät allen, die über Hartz IV debattieren, sich mit den Mitarbeitern in den Jobcentern zu unterhalten. „Wenn jemand das zehnte Mal in Folge nicht zum Termin beim Amt erscheint, dann sollte das Konsequenzen haben“, fordert Heil. Grünen-Chef Habeck hingegen will, wie er sagt, „von Zwang und Bestrafung auf Anreiz und Belohnung umstellen.“ Es sei falsch anzunehmen, dass der Mensch ein fauler Hund sei. Aus seiner Sicht muss Politik die Sorge vor einer sozialen Deklassierung nehmen, die viele mit Blick auf einen Jobverlust hätten. „Die Angst vor Abstieg frisst die Seele auf und das Grundvertrauen in die Gesellschaft gleich mit,“ sagt er.

Nahles will Zuschüsse zu den Sozialabgaben

Nahles betont, dass gar nicht erst so viele Bürger ins Hartz-IV-System kommen sollten. Deshalb brauche es Zuschüsse zu den Sozialabgaben der Arbeitnehmer, Steuergutschriften für Erwerbstätige und einen steigenden Mindestlohn. Nur vergisst sie zu erwähnen, dass nicht der Staat, sondern eine Kommission festlegt, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn ist – ein Verfahren, das in Nahles‘ Zeit als Sozialministerin beschlossen wurde. Zudem stellt sie sich selbst ein schlechtes Zeugnis aus. Als Ministerin hatte sie versucht, die ganze Regelflut bei Hartz IV zu durchforsten. Das hat offenbar nicht ausreichend geklappt. Sonst würde sie nicht heute beklagen, dass es dort „anonyme Bürokratie“ gebe. Überhaupt, so die SPD-Chefin, sei der Sozialstaat oft mit „unverständlichen Bescheiden, unklaren Zuständigkeiten und fehlenden Ansprechpartnern“ ein Hindernislauf.

Wenig Chancen auf Realisierung

Wahrscheinlich bleiben Habecks wie Nahles‘ Vorschläge fürs erste, was sie sind: nur Vorschläge. Die Grünen sitzen bekanntlich in der Bundestags-Opposition. Und nichts, von dem, was Nahles nun anstrebt, findet sich im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Dass die Union bereit sein könnte, deutlich über den Vertrag hinauszugehen, ist nicht zu erwarten. Jedenfalls kommt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein auffallend schroff formuliertes Nein. „Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen. Solche Vorschläge sind hoch gefährlich und schaden der Zukunft unseres Landes – egal, ob sie von der SPD oder von Robert Habeck kommen“, sagt er.