Noch haben die Leute vom Volksbegehren „Landtag verkleinern“ die Hoffnung nicht aufgegeben. Gut 56 000 Unterschriften waren zuletzt für die Forderung zusammengekommen, durch größere Wahlkreise ein XXL-Parlament zu verhindern. Benötigt werden mindestens 770 000, mehr als das Zehnfache. An diesem Dienstag endet die Sammlung in den Rathäusern, bis zum 11. Februar läuft noch die freie Sammlung. „Wir spüren ein Momentum“, sagt der Initiator Dieter Distler. Doch es müsste schon ein Wunder geschehen, damit die Zielmarke noch erreicht wird.
Selbst dann gäbe es allerdings keine Chance mehr, die Weichen rechtzeitig zur Landtagswahl im Frühjahr 2026 anders zu stellen. 38 statt 70 Wahlkreise, wie es Distlers Initiative fordert – das wäre ein sicherer Weg, um eine Aufblähung des Landtags (Sollgröße: 120) auf mehr als 200 Abgeordnete zu vermeiden. Doch es ist zu spät, um an den Wahlkreisen noch etwas zu ändern – das machte Innenminister Thomas Strobl (CDU) neulich vor Journalisten deutlich. Vom 1. Februar an könnten die Kandidaten nominiert werden, der Aufstellungsprozess laufe bereits seit Mitte November – da müsse „feststehen, um welchen Wahlkreis es sich handelt“. Zu Beginn eines Wahlkampfs müssten die Regeln klar sein, das liege auf der Hand. Zudem gebe es eine internationale Empfehlung, ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr am Wahlrecht zu schrauben.
Rasche Reform der Reform erfolgreich verhindert
Eine rasche Reform der Reform haben die Anhänger von Zweitstimme und Landeslisten – Grüne, CDU und SPD – also zunächst erfolgreich ausgesessen. Es stünde ihnen aber frei, in der verbleibenden Legislaturperiode die Wahlkreise bereits für die Wahl 2031 neu zuzuschneiden. Schon bei der 2022 beschlossenen Wahlrechtsänderung hatten Experten dringend dazu geraten. Mit ihrem damaligen Vorschlag, von 70 auf 60 zu gehen, ziele die FDP in die richtige Richtung, lobte der „Wahlrechtspapst“ Joachim Behnke. Doch er greife noch zu kurz: geboten seien etwa 40 Wahlkreise, um einen XXL-Landtag auch bei bis zu sechs Fraktionen zu verhindern.
Verbal bekennen sich alle Seiten zur Sollgröße von 120 Abgeordneten, die mit 154 schon jetzt deutlich überschritten wird. Das sei „eine gute Zahl“, sagt auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der sich ansonsten weitgehend aus der Debatte heraushält. Doch konkrete Schritte, um das immer unwichtiger gewordene Parlament zu begrenzen, scheut seine Regierungsmehrheit samt der SPD. Im Gegenteil: schon jetzt wird argumentativ emsig vorgebaut, warum man die Zahl der Wahlkreise auf keinen Fall reduzieren könne – schon gar nicht auf 38 wie bei der Bundestagswahl. Das zentrale, stets bemühte Argument: dadurch gehe Bürgernähe verloren.
Uni-Studie durchkreuzt das Abwehr-Argument
Das klingt zunächst einleuchtend, hält einer näheren Betrachtung aber nicht stand. Über die klassischen Medien – öffentlich-rechtliche Anstalten und Tageszeitungen – erreiche man immer weniger Menschen, gab Kretschmann zu bedenken. Bei größeren Wahlkreisen werde es „noch schwieriger, einen lebendigen Kontakt mit der Bevölkerung herzustellen“. Unerwähnt ließ er, dass es mehr digitale Möglichkeiten denn je gibt und soziale Medien in der Politik längst intensiv genutzt werden. Auf vielen Wegen kann man „seinen“ Abgeordneten persönlich kontaktieren – wozu es indes nur einen Bruchteil der Wähler drängt.
Auch eine Studie der Universität Mannheim durchkreuzte das beliebte Argument. Ob Politik als bürgernah wahrgenommen werde, hänge nicht von der Größe der Wahlkreise ab, fand ein Team um den Politikwissenschaftler Thomas Gschwend heraus. Es befragte 2500 repräsentativ ausgewählte Menschen in größeren und kleineren Wahlkreisen, wie zufrieden sie mit Politikern und der Demokratie seien. Ergebnis: In größeren Wahlkreisen fühlten sich die Bürger keineswegs schlechter repräsentiert. So plausibel die Argumente der Politiker klängen, sie seien „nicht immer empirisch belegbar“, folgerte Gschwend.
Das hohe Lied der Bürgernähe
Das hindert viele Abgeordnete nicht daran, weiter das hohe Lied der Bürgernähe zu singen. In Briefen an Bürger, die sich über den drohenden XXL-Landtag empören, wird das Argument regelmäßig strapaziert. Die Nähe zwischen Mandatsträgern und Bürgern sei „ein hohes Gut, das wir verteidigen sollten“, schrieb ein CDU-Mann. Ein SPD-Kollege warnte davor, „eine wirkliche Beteiligung“ werde massiv erschwert. Dass bei der Bundestagswahl 38 Wahlkreise völlig genügten, ließ er nicht gelten: Als „stolzes Landeskind“ finde er den Vergleich „reichlich befremdlich“.
Mit Spannung schaut der Landtag nun auf den Verfassungsgerichtshof. Für Februar 2025 kündigten die Richter ihr Urteil zu einer Beschwerde der FDP an, deren Antrag auf ein Volksbegehren für 38 Wahlkreise vom Innenministerium abgelehnt worden war. Avisiert ist eine „sehr weitgehende Entscheidung“, die man „nicht übers Knie brechen“ werde. Danach wäre noch mehr als ein Jahr Zeit, das Wahlrecht wenigstens für die Wahl 2031 zu korrigieren. Vieles spräche dafür, dies jetzt noch in Angriff zu nehmen. Die 2026 neu gewählten Abgeordneten wären wohl kaum besonders motiviert, sich sogleich an ihre eigene Abschaffung zu machen. Man könne „von den Fröschen nicht erwarten, dass sie den Sumpf trockenlegen“, heißt es oft.
FDP offen für neuen Vorstoß
Der Anstoß für einen neuen Anlauf zur Wahlkreis-Reduzierung könnte von der FDP kommen. Man sei „grundsätzlich offen für Gespräche“, sagt der Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Nach mehreren abgelehnten Initiativen der Liberalen brauche es dazu aber Gesprächsbereitschaft bei den Regierungsfraktionen: „Sonst macht das Ganze keinen Sinn.“ Von deren Vertretern lese er allerdings oft, dass sie „die jetzige Situation ganz vorzüglich finden und alle Warnungen vor einer explodierenden Größe des Parlaments ins Reich der Fabeln und Mythen“ verwiesen. Auch Ministerpräsident Kretschmann ducke sich weg, „wie immer, wenn es unangenehm wird“.
Hätte das Volksbegehren von Dieter Distler doch noch Erfolg, würde das den Druck auf die Abgeordneten massiv erhöhen. Der Pensionär trommelt unermüdlich für die Reform. Jetzt gelte es, die bisher wenig interessierte junge Generation zu überzeugen, appellierte er an seine Mitstreiter – „sie wird die Kosten tragen müssen“.