598 Abgeordnete und kein einziger mehr – das soll nach dem Willen von SPD, Grünen und FDP künftig für den Deutschen Bundestag gelten. Dafür sollen Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft werden – nicht ohne Folgen.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

SPD, Grüne und FDP wollen den Bundestag verkleinern – seine Größe soll ab der nächsten Wahl strikt auf 598 Abgeordnete begrenzt sein. Dabei sollen die Parteien genau mit der Stimmenzahl im Bundestag vertreten sein, die ihnen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl zustehen. Das geht aus einem Gesetzentwurf der drei Fraktionen hervor, der dieser Zeitung vorliegt.

 

Wie bislang soll dabei die Zweitstimme, die künftig „Hauptstimme“ heißen soll, ausschlaggebend für die Zusammensetzung des Parlaments sein. Mit ihr entscheiden sich die Wähler für eine Partei. Überhang- und Ausgleichsmandate werden abgeschafft.

Alle Wahlkreise sollen erhalten bleiben

„Mit dem Gesetzentwurf erreichen wir die drei wichtigsten Ziele: Verkleinerung des Bundestags und garantierte Größe von 598 Mandaten, der Bundestag spiegelt exakt das Wahlergebnis und Fairness gegenüber allen Parteien“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, dieser Zeitung. Eine Streichung von Wahlkreisen werde vermieden, alle 299 Wahlkreise blieben erhalten, betonte er. Allerdings kann es nach dem Gesetzentwurf dazu kommen, dass einzelne Abgeordnete ein gewonnenes Wahlkreismandat nicht erhalten, wie der SPD-Politiker erklärte.

In Deutschland gilt ein personalisiertes Verhältniswahlrecht. Das heißt: Mit der einen Stimme (die bislang verwirrenderweise Zweitstimme heißt) sollen die Bürger ihre Entscheidung treffen, wie stark die Parteien im Parlament vertreten sind. Es ist die für das Wahlergebnis entscheidende Stimme.

Mit der anderen Stimme wird darüber abgestimmt, welche Kandidatin oder welcher Kandidat den Wahlkreis im Parlament vertreten soll. Sie heißt bisher Erststimme und soll künftig Wahlkreisstimme heißen. Ihr Zweck besteht nicht darin, über die Stärke der Parteien im Parlament zu bestimmen – es geht allein um die Vertretung aus dem Wahlkreis. Deshalb entsteht ein Problem, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr solcher Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem eigentlich maßgeblichen Zweitstimmenergebnis zustehen.

In einem solchen Fall erhält eine Partei zurzeit Überhangmandate. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die CSU in Bayern alle Wahlkreise gewinnt – aber kein Zweitstimmenergebnis erzielt, mit dem sich eine solche Zahl von Mandaten begründen ließe. Bislang versucht man eine Verzerrung des Wahlergebnisses zu vermeiden, indem die anderen Parteien Ausgleichsmandate erhalten. Das Ergebnis: Der Bundestag wird immer größer.

So sollen die Mandate verteilt werden

Derzeit zählt der Bundestag 736 Abgeordnete, davon 138 Überhang- und Ausgleichsmandate. Die Ampel will einen so überdimensionierten Bundestag in Zukunft vermeiden, indem sie sowohl Überhang- als auch Ausgleichsmandate abschafft. Das bedeutet: Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach dem Hauptstimmenergebnis Mandate zustehen, ziehen nicht alle Wahlkreissieger in den Bundestag ein.

Das Ganze soll laut Gesetzentwurf so funktionieren: Reichen die nach Hauptstimmenergebnis gewonnenen Mandate nicht aus, werden die Mandate unter den Wahlkreisgewinnern der Partei in der Reihenfolge des Wahlergebnisses verteilt. Wer seinen Wahlkreis mit dem höchsten Stimmenanteil gewonnen hat, bekommt als erster ein Mandat. Danach ist derjenige mit dem zweithöchsten Stimmenanteil am Zug. Wer den Wahlkreis nur mit geringem Stimmenanteil gewinnt, erhält das Mandat womöglich nicht. Im umgekehrten Fall – einer Partei stehen mehr Mandate zu, als sie Wahlkreise gewonnen hat – ändert sich nichts: Dann ziehen Kandidaten über die Landeslisten der Parteien ein.

Im Einzelfall könnte es nach dem neuen Modell passieren, dass ein Wahlkreis gar keinen Abgeordneten hat. Dies käme aus Sicht der Ampel aber selten vor, da aus einem Wahlkreis oft auch Kandidaten über die Liste einziehen. Wenn man die Verhältniswahl erhalten und den Bundestag verkleinern wolle, sei die Alternative sonst eine Vergrößerung der Wahlkreise. Dies würde aber in dünn besiedelten Gebieten die politische Arbeit massiv erschweren, so die Ampel

Dass unabhängige Kandidaten einen Wahlkreis gewinnen und ein Mandat erhalten, soll nach den Plänen übrigens auch weiter möglich sein. Auch die – etwa für die Linke wichtige – Ausnahme, dass Parteien mit drei gewonnenen Wahlkreisen jenseits der Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen, soll erhalten bleiben.

Eine Frage der Arbeitsfähigkeit

„Im internationalen Vergleich hat die Bundesrepublik, ein mittelgroßer Staat, eines der größten Parlamente“, schreibt die Ampel-Koalition in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf. Auch wenn sich diese Entwicklung nicht mit völliger Sicherheit fortschreiben lasse, erscheint eine weitere Vergrößerung bei künftigen Wahlen nicht nur gut möglich, sondern sogar wahrscheinlich. „Modellrechnungen kennen Szenarien mit über 900 Abgeordneten“, warnen SPD, Grüne und FDP. Das behindere den Bundestag in seiner Arbeitsfähigkeit.

Er hoffe für die Reform auf eine „breite parlamentarische Unterstützung“, sagte der SPD-Abgeordnete Hartmann. Die Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Parteien haben Friedrich Merz bereits zum Gespräch eingeladen.