In Sachen Bürokratie und komplizierten Steuern zählt Indien zur Weltspitze. Der Subkontinent will sein umfangreiches und verwirrendes Abgabenrecht nun vereinfachen. Ob sich die Reform so schnell verwirklichen lässt?

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Im statistikverliebten Indien gibt es fast nichts, was nicht in Zahlenkolonnen festgehalten wird. Also wird auch untersucht, was Lastwagenfahrer während ihrer Arbeitszeit so machen. Ganz oben steht da das Warten, und zwar nicht im Stau, sondern vor den Grenzkontrollen. 60 Prozent ihrer Arbeitszeit sollen die Fahrer, die Waren quer durchs Land transportieren, dort ausharren. Weil jeder Bundesstaat eigene Steuern erhebt, ist es manchmal günstiger eine Ware zu exportieren und dann wieder einzuführen als sie innerhalb Indiens vom Norden in den Süden zu karren. Das soll sich nun ändern.

 

Indien hat sich auf den Weg zu einer einheitlichen Umsatzsteuer (GST) gemacht. Erste Bestrebungen dazu gab es zwar schon im Jahr 2006, dem Jahr, an dem der Berliner Großflughafen ursprünglich eröffnet werden sollte. Doch nun sind einige entscheidende Hürden auf dem Weg dorthin übersprungen. Am 1. April 2017 soll die landeseinheitliche Steuer in Kraft treten. Angesichts der noch ausstehenden Entscheidungen ist das ein nahezu ebenso ehrgeiziges Ziel wie die Berliner Flughafeneröffnung im nächsten Jahr. Der Optimismus, dass mit dem neuen System vieles besser wird, ist allerdings groß.

Bosch und Daimler begrüßen die Neuerung

Gyanesh Chaudhary ist Geschäftsführer bei Vikram Solar, nach eigenen Angaben einer der weltweit führenden Unternehmen aus dem Bereich der Solarindustrie. „Das neue Steuersystem hilft uns sehr“, lobt Chaudhary die Ideen – und trifft damit auf internationale Zustimmung. Die Bosch-Gruppe, die seit 1922 in Indien vertreten ist und dort 2015 knapp 1,7 Milliarden Euro erwirtschaftet hat, zeigt sich ebenso optimistisch: „Wir begrüßen die Einführung der GST-Steuer und gehen davon aus, dass sich diese positiv auf die indische Wirtschaft auswirkt.“ Bei Daimler sieht man das ebenso: „Wir begrüßen jeden Vorstoß zur Vereinfachung des indischen Steuersystems“. Ein um bis zu zwei Prozent höheres Wachstum hält manch ein Ökonom mit der neuen Steuer für möglich.

Amit Mitra ist Finanzminister des Bundesstaates Westbengalen, und zudem führende Kraft auf der Ebene des Gesamtstaates, wenn es um die Vereinheitlichung der Steuer geht. Derzeit ist Mitra mit einer hochrangigen Delegation seines Bundeslandes in Deutschland unterwegs um für Investitionen zu werben. In Stuttgart, Düsseldorf, München und Frankfurt wird dabei vor allem der Mittelstand umworben. Nicht nur Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, wäre „dankbar“, wenn sich die indischen Regeln einfacher gestalten würden. Dass Infrastruktur und Bürokratie in Indien durchaus Verbesserungspotenzial haben, darüber herrscht bei den Veranstaltungen weitgehend Einigkeit. Darüber, ob die geplante Steuerreform die Wende bringt, hingegen nicht.

Die Zahl der Ausnahmen wächst jeden Tag

Noch sind wichtige Details nicht beschlossen. Die Höhe des Steuersatzes ebenso wenig wie die Reihe von Ausnahmen. Fest steht lediglich, dass es für Alkohol und Produkte, die aus Erdöl hergestellt werden, besondere Regeln geben soll. Der publikumswirksame Spruch „Eine Nation – eine Steuer“ ist daher womöglich zu optimistisch. Gleichwohl hoffen auch die Lastwagenfahrer, bald mehr Kilometer zurücklegen zu können, ohne an Grenzposten bremsen zu müssen. Statiker haben errechnet dass indische Lastwagen 250 Kilometer am Tag rollen. International soll der vergleichbare Wert drei mal höher liegen.