Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg begrüßt eine bessere Patientensteuerung, kritisiert aber die Schaffung überflüssiger Doppelstrukturen.

Berliner Büro: Norbert Wallet (nwa)

Die Zustände in Notaufnahmen der deutschen Kliniken sind seit langem prekär. Vor allem an Wochenenden platzen sie aus allen Nähten, sind die Wartezeiten extrem lang und die Ärzte am Rande der Erschöpfung. Die Gründe sind vielfältig. Einer ist, dass es leider nicht wenige Patienten gibt, die die Notaufnahme als Ersatz-Hausarztpraxis zweckentfremden.

 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat nun eine Reform vorgelegt, die gestern im Kabinett verabschiedet wurde. Sie folgt einem Grundgedanken: Die Patientenströme sollen besser gesteuert werden. Nur der soll die Notaufnahme in Anspruch nehmen, der sie wirklich braucht.

Notarztpraxis in unmittelbarer Nähe zur Klinik

Um dies zu erreichen, sollen vor allem zwei Instrumente eingesetzt werden: Die Notruf-Nummer 112 und die 116117 der Hotline der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sollen koordiniert werden. Beide Nummern bleiben erhalten, aber Patienten, die sich über Notruf melden, jedoch keine lebensbedrohlichen Beschwerden haben, sollen unmittelbar an den Bereitschaftsdienst der KV weitergeleitet werden. Dort kann der Patient dann ein Gespräch mit einem Arzt führen. Der kann entscheiden, dass der Anrufer direkt zu Hause von einem Arzt oder Sanitäter aufgesucht wird oder ihn direkt an ein Integriertes Notfallzentrum (INZ) verweisen.

Das ist das zweite Kernelement der Reform: Die INZ bestehen aus der Notaufnahme einer Klinik und einer Notarztpraxis, die unmittelbar in Kliniknähe angesiedelt ist. An einem gemeinsamen Tresen soll bei der Aufnahme entschieden werden, ob der Patient wirklich die Notaufnahme der Klinik in Anspruch nehmen muss oder in der Praxis behandelt werden kann.

75 Prozent der Anrufer sollen binnen drei Minuten durchkommen

Das Konzept setzt voraus, dass Anrufer nicht in endlosen Warteschleifen gefangen bleiben. Das Gesetz gibt deshalb feste Fristen vor: 75 Prozent der Anrufer sollen binnen drei Minuten einen Gesprächspartner erhalten. In den ersten zehn Minuten sollen sollen 95 Prozent der Anrufer durchkommen können. Dass dies erfüllbar ist, zeigt das Beispiel Baden-Württemberg. Dort kommen nach Angaben der KV des Landes heute schon 70 Prozent der Anrufer binnen drei Minuten durch, 92 Prozent in den ersten zehn Minuten nach dem Anruf.

Die Reaktionen in der Ärzteschaft sind ziemlich einheitlich. Niemand widerspricht, dass eine bessere Steuerung wesentlich ist. „Der Ansatz einer konsequenten Versorgungssteuerung ist richtig“, sagt Doris Reinhardt, die Vorstandschefin der KV Baden-Württemberg unserer Zeitung. „Das vermeidet überflüssige Arztkontakte und reduziert Kosten und Belastungen für Ärzte und Patienten.“ Aber in der Ärzteschaft wird befürchtet, dass für Lauterbachs Pläne gar nicht genug Ärzte zur Verfügung stehen könnten.

Ärzte warnen vor unnötigen Parallelstrukturen

Das sieht auch Doris Reinhardt so. „Unsere Kritik setzt da an, wo unnötige Parallelstrukturen geschaffen werden“, sagt sie. Tatsächlich sieht die Reform die Einrichtung eines flächendeckenden Fahrdienstes für Hausbesuche rund um die Uhr parallel zur Regelversorgung vor. „Aber gerade alle Hausärzte machen bereits tagsüber medizinisch erforderliche Hausbesuche“, sagt Doris Reinhardt dazu. „Flächendeckend tagsüber, also während der Regelversorgung, noch zusätzliche Ärzte aller Fachgruppen eigens hierfür einzuplanen, ist doch nicht zielführend.“ Zudem werde dadurch der Versorgungsdruck zusätzlich verstärkt, „denn der Arzt, der sich zusätzlich für mögliche Hausbesuche bereithalten muss, fehlt dann eben in der Praxis“. Dafür gebe es „weder eine medizinische Notwendigkeit noch einen Bedarf“. Lauterbach schaffe hier „tagsüber eine unnötige Doppelstruktur.“ In einer Pressemitteilung des Hausärzte-Verbandes heißt es schlicht: „Mit welchen Ärzten und welchen nicht-ärztlichen Fachkräften das gestemmt werden soll, bleibt ein Geheimnis.“

Es gibt noch offene Honorarfragen

Reinhard weist zudem auf noch nicht geklärte Honorarfragen hin. „Nehmen viele Patienten die Bereitschaftsdienste in Anspruch, reduziert sich die Vergütungssumme in der Regelversorgung“, erklärt sie. Die Strukturen im Bereitschaftsdienst, von angemieteten Räume bis zu Technik und Personal werde durch alle Ärzte und Psychotherapeuten selbst per Umlage finanziert. Das mache konkret monatlich 200 Euro von jedem Arzt. Reinhardt: „ Wenn ein System geschaffen wird, muss es auskömmlich finanziert werden.“