Der Leonberger evangelische Dekan Wolfgang Vögele warnt davor, im Glauben das Erbe der Reformation zu verraten.

Leonberg - Sind in 500 Jahren Reformation die Welt und die Menschen besser geworden? „Wir sind zumindest nicht mehr im finsteren Mittelalter gefangen, aber unsere Probleme wie der Klimawandel und die Ungerechtigkeit in der Welt sind nicht harmloser als jene, die die Reformation ausgelöst haben“, sagt der Leonberger evangelische Dekan Wolfgang Vögele im Vorfeld des Reformationstages.

 

Ob 500 Jahre Reformation ein Anlass zum Feiern oder zum Gedenken sind, ist und bleibe umstritten, meint Vögele. Auf jeden Fall sei es kein Grund, unkritisch zu feiern und die wechselvolle Geschichte der Konfessionalität des letzten halben Jahrtausends zu ignorieren. „Das Feiern ist verbunden mit dem kritischen Gedenken, das einerseits die bleibenden Impulse der Reformation heraushebt, aber auch die tiefen Verletzungen, die fatalen Folgen der Konfessionskriege und das Gegeneinander der Konfessionen bedenkt und nicht unter den Tisch kehrt“, sagt der Dekan.

Luther: Missstände in der Kirche aufdecken

Martin Luther habe 1517 keine Spaltung der Kirche im Sinn gehabt. Als er seine Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte, habe dem Mönch daran gelegen, die Missstände in seiner Kirche aufzudecken und zu einer Veränderung zu führen. „Aber seine Hinweise und Erkenntnisse lösten keine konstruktive Auseinandersetzung in der Kirche aus, sondern führten zu der Kirchenspaltung“, sagt Vögele.

Der 31. Oktober ist seit 1667 verbindlicher Reformationsgedenktag in der evangelischen Kirche. Doch wieso hat er sich durchgesetzt gegen Luthers Geburtstag (10. November) und Todestag (18. Februar) und gegen den Tag der Augsburger Konfession (25. Juni 1530), als die lutherischen Reichsstände ihr Bekenntnis zu ihrem Glauben an Kaiser Karl V. übergaben?

 „Hinter dem Tag des Thesenanschlags, steht ein starker Erzählstoff: Ein mutiger Mönch nagelt seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche!“, hat Vögele die Erklärung dafür. Ein Ereignis, das historisch allerdings nicht belegt ist, und trotzdem stehe es dafür, was die Reformation auch heute noch ausmache: Mut zur Freiheit und Mut zur Verantwortung.

Die „Freiheit eines Christenmenschen“ sei das Leitmotiv des Protestantismus. Nicht die selbst gemachte, oder selbsterzwungene Freiheit, sondern die immer geschenkte Freiheit. „Dabei liegt zwischen dem reformatorischen Freiheitsverständnis und heute die lange europäische Freiheitsgeschichte“, weiß Vögele.

Der Weg führe von Immanuel Kants Aufforderung, den eigenen Verstand zu benutzen und sich von kirchlicher und politischer Bevormundung zu befreien, über die Französische Revolution bis zur Befreiung von faschistischen und kommunistischen Diktaturen. „Die Kirche war lange nicht immer Vorreiter und Kämpfer für Freiheit und Befreiung! Das gehört zu den Schattenseiten unserer Geschichte“, sieht es der Dekan kritisch. Dennoch ist und bleibe die Freiheit das entscheidende Vermächtnis der Reformation – und zwar nicht eine Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit für etwas.

Reformation ist ein Prozess ohne Ende

Damit untrennbar verknüpft sei der Mut zur Verantwortung der Christen für sich selbst, für andere und für diese Welt. „Wo der Glaube zur Privatsache schrumpft oder ausschließlich auf die Innerlichkeit reduziert wird, wird das Erbe der Reformation verraten“, warnt Vögele. Reformation sei ein Prozess ohne Ende. Die Kirche bleibe eine Kirche, die immer wieder neu reformiert und erneuert werden müsse.

So freut es den evangelischen Dekan, dass der Reformationstag, der in den letzten Jahrhunderten häufig für die Abgrenzung gegenüber der katholischen Kirche stand und als Jubelfeier gegen die Katholiken gefeiert wurde, nun im Zeichen der Ökumene steht als ein gemeinsames Fest der Versöhnung. Das werde auch in den Feierlichkeiten am Dienstag deutlich. „Als bewusstes Zeichen der Gemeinsamkeit der Christen in unserer Stadt beteiligen sich die katholische Kirchengemeinde und die evangelisch-methodistische Kirche an diesem Tag“, ist Wolfgang Vögele zufrieden.

Den Reformationstag sieht der Dekan als den Abschluss der erfolgreichen Veranstaltungsreihe „FantasTisch“ mit 30 Aktionen. „Jede Gemeinde war gefordert, es war ein Heraus aus den heiligen Hallen und ein wichtiges sich Wahrnehmen, Zusammenarbeiten und Kennenlernen“, bilanziert er.

Dass der Festtag mit Halloween zusammenfällt sieht Vögele, der mit seinem Amtsantritt 2006 den Reformationsgottesdienst wieder eingeführt hat, gelassen. „Die Halloween-Partys sollten das bleiben, was sie sind: Ein netter Spaß, allerdings einer, hinter dem sich deutliche wirtschaftliche Interessen verbergen.“

Ökumenischer Gottesdienst