Gabriela Uhdes Roman „Die Seelschwester“ spielt in Schorndorf und erzählt von Frauen in der Reformationszeit. Das im Stil einer Reportage verfasste Buch bietet interessante Fakten und Unterhaltung in einem.

Schorndorf - Das alte Dokument hat Gabriela Uhde sofort fasziniert – und ihr keine Ruhe mehr gelassen. In dem Schriftstück aus dem Jahr 1528, das der Archivar Uwe Jens Wandel aufgetan hatte, ist zu lesen, dass eine einflussreiche Familie den Bewohnerinnen der Schorndorfer Klause, einer Art Beginenhaus, eine stattliche Summe Geldes in Aussicht stellte. Mit der Auflage, im Gegenzug drei von der Stadt vorgeschlagene Frauen in ihrem Haus unweit der Stadtkirche aufzunehmen. Die Reaktion der Klausnerinnen: sie lehnten die Finanzspritze ab.

 

„Ich bin froh, dass die Frauen so mutig waren und die Stiftung abgelehnt haben“, sagt Gabriela Uhde, „denn dadurch existiert das Schriftstück“. Und ein Beweis dafür, dass das weit verbreitete Bild von Frauen im Mittelalter nicht der Wahrheit entspricht. „Es stimmt nicht, dass Frauen damals unterdrückt und unselbstständig waren“, sagt Uhde, die inzwischen viele Aufsätze über und Originaldokumente aus dieser Zeit gelesen hat. Letztere waren überwiegend in Frühneuhochdeutsch verfasst, einer Sprache, die Gabriela Uhde erst lesen und verstehen lernen musste. Eine mühsame Angelegenheit: „Andere haben Sudokus gelöst, ich habe Dokumente entziffert. So bin ich heimisch geworden in der Zeit.“

Eine Begine und ein Heerführer

Und zwar so sehr, dass sie über diese Frauen, die in alten Akten mal als „Schwestern von Schorndorf“, mal als „Beginen“ oder „Klausnerinnen“ bezeichnet werden, einen Roman verfasst hat. „Die Seelschwester“ heißt das 520 Seiten dicke Buch, in dem Barbara Schertlin, die tatsächlich in der Klause lebte, eine wichtige Rolle spielt.

Aber auch ein reisender Buchhändler namens Hans Schmid, der Mitte der 1520er-Jahre wegen der Verbreitung lutherischer Schriften verhaftet wurde, taucht in dem Roman auf. Außerdem der Heerführer Sebastian Schertlin von Burtenbach, ein Schorndorfer, der mit seiner Söldnertruppe im Jahr 1527 an der Eroberung und Plünderung Roms beteiligt war. „Er hat aus dem Petersdom eine Reliquie nach Schorndorf mitgebracht – den Strick, mit dem sich Judas erhängt haben soll“, erzählt Uhde, die in ihrem Buch auch Namen der damaligen Stadtoberen verwendet. „Die Namen stimmen, die Charaktere sind erfunden.“

Frei erfunden hat Gabriela Uhde die Kunstfigur des Totengräbers Melchior. Der alte Mann lebt in einem Haus an der Stadtmauer und gibt so manche Lebensweisheit von sich. Und zwar auf Frühneuhochdeutsch, was dem Lesespaß aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: die Redensarten, die Gabriela Uhde bei ihrer Recherche in alten Dokumenten gefunden und gesammelt hat, geben eine Vorstellung vom ganz eigenen Sprachstil dieser längst vergangenen Zeit. Melchiors Kommentare wie auch weitere Zitate aus Chroniken der Zeit und aus Sebastian Schertlins Tagebuch sind im Buch in kursiver Schrift gedruckt.

Blick hinter die Kulissen der gängigen Geschichtsschreibung

„Der Roman ist ein Blick hinter die Kulissen der gängigen, weit verbreiteten Geschichtsschreibung“, sagt Gabriela Uhde. Weil letztere meist Männersache gewesen sei, wisse man so wenig über die Frauen in dieser Zeit. Nur die berühmtesten Vertreterinnen haben es in die Bücher geschafft – die Ordensgründerin und Mystikerin Teresa von Avila etwa – oder Caritas Pirckheimer, eine Äbtissin, die sich für die Religions- und Gewissensfreiheit einsetzte und gegen die Zwangseinführung der Reformation in ihrem Kloster wehrte.

Überhaupt seien Klöster entgegen der weit verbreiteten Meinung nicht generell Verwahranstalten und Orte der Unfreiheit gewesen, betont Gabriela Uhde: „Die Frauen dort hatten ein hohes Ansehen, sie waren recht gut versorgt und mussten keine Angst vor dem Tod im Kindsbett haben.“ Mit Luther und der Reformation habe sich das allerdings geändert. „Luther hat den Frauen den Nonnenstand genommen. Ab da gab es nur noch Mütter, denn Frauen waren laut Luther dazu gemacht, zu gebären.“

Die selbstbewussten Seelschwestern von Schorndorf aber haben sich längst nicht alle an Luthers Vorgaben gehalten. Nach Uhdes Recherchen ist ein Teil aus der Klause ausgezogen. Ein harter Kern, auch Barbara Schertlin, blieb aber dort wohnen. „Sie sind in Ruhe gelassen worden“, sagt Uhde über die Seelschwestern, die beispielsweise vier Frauen aus der geschlossenen Klause in Winnenden aufnahmen.

Dass eine spätgotische Madonna, die einst in der Schorndorfer Stadtkirche stand, die Reformationszeit heil überstanden hat, ist ebenfalls den Beginen zu verdanken: Sie haben die Muttergottesstatue nach Unlingen bei Riedlingen verfrachtet und so gerettet. Dort steht sie bis heute.