Beim Reformationsempfang stellt Frank Otfried July dem Kirchenkreis ein gutes Zeugnis aus und nennt Kriterien für die Zukunftsfähigkeit der evangelischen Kirche.

Stuttgart - Der Blick zurück kann dienlich sein, um zunächst den Standort und den Kurs nach vorne zu bestimmen. In dieser Weise navigieren auch die beiden Kirchen-Steuermänner, Landesbischof Frank Otfried July und Stadtdekan Søren Schwesig, durch den Dienstagabend beim Reformationsempfang im Hospitalhof. Schwesigs Erinnerungsreise durch die schwere See in den Coronamonaten macht dabei an einem bestimmten Punkt halt: Dass die Politik während der Lockdowns die Pfarrschaft nicht zum systemrelevanten Personal hochstufte, ist für den Stadtdekan eine tiefe „Verletzung“. Erfreulicher fällt da der Einstieg des Bischofs in vergangene Zeiten aus. Der im kommenden Sommer aus dem Amt scheidende July nimmt die Gäste aus Lokalpolitik und Stadt an den Punkt mit, als die evangelische Kirche 2015 beim Deutschen Kirchentag einen Höhe- und Glanzpunkt in Stuttgart feierte. „Stuttgart präsentierte sich damals weltoffen, liebens- und lebenswert“, erinnert July verklärend – um die schöne Christenwelt im nächsten Satz wieder einzureißen: „Das war nicht der Normalfall.“ Normalerweise findet Kirche samt ihren Festen in der Stadt viel kleiner, viel bescheidener statt. „Der Anteil der Konfessionslosen ist in der Stadt deutlich höher als auf dem Land. Kirchliche Tradition hat es in der Stadt deutlich schwerer“, stellt July fest. Auch weil der „Markt der religiösen Anbieter größer“ sei.

 

Kirchentag als Höhepunkt

Und nun? Was bedeutet das für die Stadtkirche? Wie fällt das bischöfliche Zeugnis aus? Was rät der Mann dem Kirchenkreis? Darauf waren alle Gäste gespannt, auch wenn keiner spektakuläre Sätze erwartete. Punkt eins: Frank Otfried July ist zufrieden mit der Arbeit der Stuttgarter Protestanten. „Mein Eindruck ist, dass Stuttgart auf die Entwicklungen beispielhaft reagiert“, sagt er. July hebt den Umbau der Martinskirche im Norden zu einem modernen Gemeindezentrum hervor, mit dem die Ausrichtung der kirchlichen Arbeit in Richtung junge Erwachsene einhergeht. Indirekt lobt er damit auch die Arbeit des Stadtdekans, der den Pfarrplan und die Einsparungen als Ausgangspunkt des Stuttgarter Wegs nahm. „Es wurden Kräfte gebündelt und zusammengeführt. Der Quartiersgedanke gewinnt Zuspruch“, so July. Die klassische Parochie, also der Amtsbezirk eines Pfarrers, sei „nicht mehr so zentral“.

Lob für die katholische Kirche

Überraschend ist, dass July auch das katholische Projekt des spirituellen Zentrums „Station S“ St. Fidelis hervorhebt. Offensichtsichtlich hält er dieses Vorzeigeprojekt des katholischen Stadtdekans Christian Hermes für zukunftweisend. Aber auch ein „diakonisches Sehen“ werde für die Zukunft der Kirche wichtig sein: „Das ist der Auftrag einer Kirche in der Großstadt.“ Zudem müssten Gemeinden in „fluiden Strukturen“ denken. „Ein Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Denken muss auf den Prüfstand“, meint July. Er rät zum Ausbau von Kooperationen von Gemeinden inklusive der ökumenischen Zusammenarbeit.

Das Wichtigste spart sich der Bischof für den Schluss auf: „Es bleibt der Anspruch, eine Volkskirche sein zu wollen.“ Die Coronazeit habe gezeigt: „Es bleibt die Sehnsucht nach Seelsorge.“ Selbst in einer Großstadt, in der die Kirchen zunehmend an Bedeutung im Alltag der Menschen verlieren.