Der Kirchenkreis Stuttgart feiert das anstehende Reformations-Jubiläum mit einem Schwerpunkt: „Wir wollen es als ein ökumenisches Fest feiern“, sagt Stadtdekan Sören Schwesig.

Stuttgart - Wer war dieser Mann, der vor 500 Jahren die Welt veränderte? Ein Nationalheld? Ein Spalter? Ein Antisemit? Oder ein Bibelübersetzer und Kirchenerneuerer, wie 70 Prozent aller Deutschen glauben. So oder so: Martin Luther ist der Reformator. Seine Thesen, die er am 31. Oktober 1517 an das Tor der Wittenberger Schlosskirche genagelt hat, haben ein neues Bewusstsein geschaffen. Nicht zuletzt das feiert die evangelische Kirche. Im Land, aber auch in der Stadt. Und hier verbindet Stadtdekan Sören Schwesig mit den Feierlichkeiten eine bestimmte Hoffnung: „Die Menschen sollen nach dem Reformationsjubiläum angeregt sein. Sie sollen eine Vergewisserung dafür bekommen, was evangelischer Glaube ist und wofür er steht.“

 

Scharfe Konturen entstehen in der Regel durch Abgrenzung. Und die pflegen die Oberen in der katholischen sowie in der evangelischen Kirche noch recht gut. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ nannte diese Separatisten in beiden Kirchen unlängst „ziemlich beste Feinde“. Auch Schwesig bestätigt, „dass das letzte Reformationsjubiläum noch stark antikatholisch geprägt war“. Damit soll nun aber Schluss sein: „Wir wollen das Jubiläum im Kirchenkreis Stuttgart nun als ökumenisches Fest feiern.“ Als Zeichen dieser Annäherung werden der katholische Weihbischof Thomas Maria Renz sowie Stadtdekan Christian Hermes in die Veranstaltungen des Jubiläums eingebunden. Renz wird mit Schwesig den Eröffnungsgottesdienst am Montag, 31. Oktober, 19 Uhr, in der Stiftskirche. Hermes wird unter anderem ein Jahr später den Abschlussgottesdienst des Festjahres mitgestalten.

In der Stadt sollen klare Zeichen gesetzt werden

Damit sollen in der Stadt klare Zeichen gesetzt werden. Zeichen der Annäherung. „Wenn die Leute in 100 Jahren wieder feiern“, so Schwesig, „dann sollen sie rückblickend sagen: Dieses Fest hatte einen ökumenischen Charakter.“

Überdies will der evangelische Stadtdekan kein Luther-Jahr feiern: „Nicht der Mensch Martin Luther soll im Mittelpunkt stehen, sondern das, was Luther den Menschen gebracht hat.“ Nämlich die Freiheit. Original Luther: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Dieser Freiheitsgedanke soll sich neben dem ökumenischen Aspekt wie ein roter Faden durch das Jubeljahr ziehen.

Keine Frage, dass dabei auch die Bibel im Mittelpunkt stehen wird. Denn wie gute Protestanten wissen, kommt man nicht nur durch die vier „Solas“ zum Heil, nicht durch Beichte. Neben dem Sola Fide (allein der Glaube), dem Solus Christus (allein Christus), Sola Gratia (allein die Gnade), Soli Deo Gloria (Gott allein gehört die Ehre) ist das Sola Scriptura (allein die Schrift) wichtig. In vielen Veranstaltungen sei laut Schwesig daher ein Schwerpunkt auf die Schrift gelegt. Besser gesagt darauf, was die Bibel den Menschen geben kann. „Es wird darum gehen, ein verändertes Gottesbild zu zeigen“, sagt Schwesig, „keinen Rächer-Gott, sondern einen liebenden Vater.“

Es bleibt die schmerzhafte Trennung

Trotz allem bleibt das Jubiläum auch ein Zeichen für die Trennung der Christenheit. „Und es bleibt ein Schmerz“, sagt Schwesig, der hofft, „dass dieses Fest auch den Katholiken diene, „mehr Wertschätzung für ihre Brüder zu entwickeln“. Damit meint er nicht einmal den großen Schmerz, den der damaliger Kardinal und spätere Papst Joseph Ratzinger im Jahr 2000 ausgelöst hatte. Damals nannte Ratzinger die evangelische Kirche nicht Kirche, sondern kirchliche Gemeinschaft. Auch dass Martin Luther immer noch unter Kirchenbann steht, steht nicht im Vordergrund. Schwesig ist der Friedensschluss im Alltag wichtiger. Hier hofft der Stadtdekan, dass aus Unrecht irgendwann Recht wird: „Vor allem Partner unterschiedlicher Konfessionen leiden beispielsweise unter der Nichtzulassung zum Abendmahl.“

Doch nach dem sich Papst Franziskus selbst Luthers Gedankengut („Ecclesia semper reformanda – Kirche muss sich immer verändern) als Leitsatz gegeben hat, könnte es sein, dass ein weiterer Wunsch von Sören Schwesig in Erfüllung geht: „Es wäre wunderschön, wenn wir am 1. November 2017 aufwachen und nicht nur vom Feiern erschöpft sind, sondern sagen können: Mit diesem Reformationsjubiläum haben wir Impulse gesetzt.“