Der Künstler Willy Wiedmann hat 16 Jahre lang an einer Bibel gearbeitet, die am Reformationstag in Bad Cannstatt ausgerollt wurde. Die Bilder reichten von der Genesis am Marktplatz bis zur Offenbarung am alten Rathaus.

Stuttgart - Ich stehe hier und kann nicht anders. Mit diesen Worten, die Martin Luther zugeschrieben werden, standen am Reformationstag 650 Bad Cannstatter rund um ihre Stadtkirche und konnten nicht anders, als ihren Glauben zu bezeugen. Zwischen zwölf und zwei Uhr hielten sie auf einer Strecke von 1,517 Kilometer in der Altstadt eine Bilderbuch-Bibel in die Höhe. Genauer: die Wiedmann-Bibel. Der Maler Willy Wiedmann (1929-2013) hatte in 16-jähriger Arbeit die Bibel von Alpha bis Omega in 3333 Bildern im Leporello-Format gemalt. Damit hat der Sohn Bad Cannstatts die längste Bibel der Welt geschaffen – und nun entrollten die Bad Cannstatter dieses Werk. Wenn man so will, war dies ein weiterer Bibel-Weltrekord. Die Bilder reichten von der Genesis am Marktplatz bis zur Offenbarung am alten Rathaus.

 

Die Kirch war brechend voll

Rekordverdächtig war bereits der Gottesdienstbesuch zum Reformationsjubiläum. „Die Kirche war mit rund 800 Leuten brechend voll“, freute sich Dekan Eckart Schultz-Berg. Er hatte das Gefühl, „dass das ganze evangelische Cannstatt da war“. Auch beim Rundgang auf der 1,5 Kilometer langen Bibel-Schau war der Dekan außer sich vor Freude: „Super“, jubilierte er, „hier kommt die Liebe der Menschen zur Bibel zum Ausdruck.“ Der Motor und Initiator dieser Aktion ist Pfarrer Florian Link. „Völlig irre“, sagte Link, nachdem sich seine ersten Eindrücke gesetzt hatten: „Die Leute sind bewegt und begeistert. Sie leben heute die evangelische Tradition.“

Luthers Erbe ist das eine. Aber viele Helfer der Bibel-Aktion wollten an diesem Tag auch ihre Verbundenheit zum Künstler, ihrer Kirche, dem Glauben und ihrer Bad Cannstatter Identität demonstrieren. „Ich kannte Willy Wiedmann persönlich“, erzählte Hannelore Klaiß, „er war nicht stromlinienförmig. Er hatte Ecken und Kanten. Das war mir sympathisch. Deshalb stehe ich hier gerne.“ Ulrike Barth, auch eine Helferin, ergänzte: „Ich bin eine treue Besucherin der Kirche, da muss man mich nicht lange bitten, hier mitzumachen.“ Die Begeisterung steckte viele Passanten an. Zum Beispiel auch die neunjährige Eleonora: „Wir sind halt da, also machen wir auch mit.“

Sohn ist im väterlichen Auftrag unterwegs

Genau dies rührte Willy Wiedmanns Sohn Martin, der das Erbe seines Vaters in die Welt tragen will, tief: „Es passt alles. Das Wetter, die Stimmung und die vielen Kinder. Pfarrer Links Vision ist heute wahr geworden.“ Das Schönste sei für ihn jedoch, dass er einen Teil seines väterlichen Auftrags zu erfüllen: die Bibel seines Vaters einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Ich glaube“, sagte Martin Wiedmann, „wenn mein Vater das heute gesehen hätte, wäre er zu Tränen gerührt gewesen.“