Berlin - Es gibt nur wenige Dinge, auf die die Deutschen so stolz sind wie auf ihre Industrie. Autos, Maschinen, Anlagen, Chemie: Waren „Made in Germany“ genießen rund um den Globus einen hervorragenden Ruf und haben das Land reich gemacht. Vor nicht allzu langer Zeit berauschten sich die Deutschen regelmäßig daran, Exportweltmeister zu sein – bis 2009 die Chinesen an ihnen vorbeizogen.
Es gibt allerdings auch eine Branche, auf die die Deutschen gar nicht stolz sind. Es handelt sich um die deutsche Rüstungsindustrie. Konzerne wie Rheinmetall, Airbus, ThyssenKrupp, Diehl oder Krauss-Maffei Wegmann sind bei Militärs im In- und Ausland eine feste Größe. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri gerade errechnet hat, war Deutschland in den vergangenen fünf Jahren der viertgrößte Waffenexporteur der Welt. Nur die USA, Russland und Frankreich exportierten laut Sipri noch mehr Waffen.
Exempel Saudi-Arabien
Seit Monaten wird hierzulande intensiv über die Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie diskutiert. Diese Debatte wird an Heftigkeit noch zunehmen. Es erscheint nicht einmal ausgeschlossen, dass an dieser Frage die große Koalition in Berlin zerbrechen könnte: Die Sozialdemokraten dringen auf einen restriktiveren Kurs bei der Genehmigung von Rüstungsexporten in Länder außerhalb von EU und Nato. Die Union ist skeptisch bis ablehnend. Vordergründig geht es um Saudi-Arabien, das seit Jahren zu den wichtigsten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie zählt und gerade Krieg im benachbarten Jemen führt. Vor wenigen Tagen erst verlängerte die Bundesregierung den vorübergehenden Lieferstopp für deutsche Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien. Darunter fallen auch Komponenten deutscher Zulieferer, die beispielsweise französische oder britische Hersteller in ihren Produkten verbauen.
Saudi-Arabien ist das praktische Exempel. Ganz grundsätzlich schwebt über alldem aber die Frage, ob sich die relativ strengen deutschen Regeln für Rüstungsexporte auf Dauer werden halten lassen. Die EU-Staaten wollen in der Verteidigungspolitik viel enger zusammenarbeiten. Das ist Europas Antwort auf neue Bedrohungen und die neue Unberechenbarkeit der USA. Neben mehr gemeinsamen Rüstungsprojekten soll es auch grenzüberschreitende Firmenfusionen im Rüstungssektor geben. Dazu sind aber europaweite Vorschriften für die Exportkontrolle nötig. Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien sind hier deutlich weniger rigide als Deutschland. Ihnen geht es vor allem ums Geschäft und um außenpolitische Interessen, weniger um die Moral.
Firmen bleiben außen vor
So wie es gute Gründe für Deutschlands militärische Zurückhaltung auf der Weltbühne gibt, gibt es auch nachvollziehbare Gründe für einen restriktiven Ansatz beim Export von Rüstungsgütern. Dennoch sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass Deutschland in der Lage sein wird, seine Vorstellungen von Exportkontrolle eins zu eins auf die europäische Ebene zu übertragen. Bevor andere Länder die deutschen Exportregeln übernehmen, werden sie sich andere Partner für europäische Rüstungsprojekte suchen. Schon jetzt gibt es Hersteller, die überlegen, wie sie ohne Zulieferungen aus Deutschland auskommen können. Und wenn es zu grenzüberschreitenden Fusionen kommt, könnten deutsche Firmen sogar ganz außen vor bleiben.
Es waren insbesondere Deutschland und Frankreich, die in den vergangenen Jahren Druck gemacht haben für eine stärkere Zusammenarbeit der Europäer in der Verteidigungspolitik. Die formalen Beschlüsse dazu sind gefasst, die praktische Umsetzung erweist sich als kompliziert. Dabei geht es nicht nur um den Widerstreit von Moral und Interessen. Es geht auch um die Frage, was den Deutschen im Zweifel wichtiger ist: die Stärkung Europas oder ein Festhalten an den eigenen Prinzipien.