Als Bob Marley noch an Straßenecken spielte, hatte sein 14-jähriger Landsmann Jimmy Cliff schon Radiohits auf Jamaika. Später lieferte Cliff Klassiker für die Pop- und Reggae-Ewigkeit – nur um dann vergessen zu werden. Der 70. Geburtstag des Pioniers an diesem 1. April ist ein guter Anlass, das zu ändern.

Jamaika - Bob Marley sollte einmal der bekannteste Reggae-Musiker der Welt werden, aber 1962 sah es überhaupt nicht danach aus. Erstens gab es Reggae noch gar nicht richtig, nur seine Vorform, Ska, eine quicklebendige schrubbelige Musik, die dadurch enstand, dass junge Karibik-Bands schwarze R&B-Hits aus den USA mit ihrem eigenen Rhythmusgefühl nachspielten. Zweitens kannte niemand außerhalb der Karibik diesen Sound, außer ein paar Auswanderern in Europa und USA. Und drittens versuchte der siebzehnjährige Marley verzweifelt, über die nächste Straßenecke Kingstons hinaus bekannt zu werden, während ein drei Jahre jüngerer Konkurrent Hits im Radio laufen hatte: Jimmy Cliff, boy wonder.

 

Cliff war nicht nur früher erfolgreich als Marley, er hat den bereits 1981 gestorbenen Reggae-Superstar auch überlebt. An diesem 1. April wird Jimmy Cliff 70 Jahre alt und fühlt sich nach eigener Aussage fitter denn je: klare Sache, er ist gerade auf Tournee (wird aber näher als Zürich am 22. Mai nicht an Stuttgart herankommen).

Nach so einer langen Karriere hat es aber nicht immer ausgesehen. Schon der ganz junge Jimmy Cliff sah klar die Grenzen eines Erfolgs auf Jamaika. Und so unterschrieb er 1965 begeistert beim von Jamaika nach England migrierten Label Island Records.

Geknickte Hoffnung

Der Island-Boss Chris Blackwell war fest davon überzeugt, dass in London mehr gehen könne als der Single-Verkauf aus dem Handköfferchen auf dem Wochenmarkt ans Heimweh-Publikum aus der Karibik. Er wollte den Insel-Sound hier in die boomende Popmusik einspeisen. Jimmy Cliff schien ihm der richtige Mann dafür zu sein. Aber daraus wurde nichts.

Island Records überlebte nicht mit Cliffs Musik, sondern dadurch, dass es die britische Spencer Davis Group unter Vertrag nahm, die den Megahit „Keep on running“ lieferte. Und als die sich ständig verändernde Musik aus Jamaika endlich doch ins englische Radio durfte und der Reggae gleich noch seinen Namen bekam, war nicht Cliff der Außenseiter-Star der Stunde, sondern die Band Toots and the Maytals. Jimmy Cliff war drauf und dran, hinzuschmeißen. In den Clubs tanzten die Leute, aber von seiner neuen Single „Waterfall“ verkaufte Island nach Cliffs Worten gerade mal 300 Stück. In England jedenfalls.

Lauter Klassiker

Cliff floh also aus dem Land von Nebel, Nieselregen und Frühstücksporridge auf eine kleine Brasilientour. Dort passierte das Wunder. Die Leute fuhren auf seine Musik ganz groß ab. Aus einem deprimierten Mann wurde wieder ein vitaler, und Cliff kehrte zurück, um eines der definitiven Alben der Reggae- und Popgeschichte einzuspielen, dessen knapper Titel sein neues Selbstvertrauen spiegelte: „Jimmy Cliff“.

Fast jeder Track ist ein Klassiker: „Time Will Tell“, „Many Rivers to Cross“, „Use What I got“, „Hard Road to Travel“, „Wonderful World, Beautiful People“. Ein ganz besonderer Ohrwurm ist „Vietnam“, laut Bob Dylans damaligem Urteil das beste aller Protestlieder. Der Text ist schlicht, er erzählt vom Telegramm, das einer Mutter den Tod ihres Sohnes im Krieg meldet. Aber der Rhythmus rüttelt einem die Knochen durch und treibt einem die Botschaft in die Zellkerne.

Kinohit und Karriereknick

All die Zeit über hatte Cliff musikalisch mit seinem alten Kumpel und Produzenten Leslie Kong aus Kingston zusammegearbeitet. Kong fädelte auch das nächste große Projekt ein: den Spielfilm „The Harder They Come“, der mit einer taffen Geschichte und einem großartigen Soundtrack vom knallharten Musikerleben auf Jamaika zwischen Armutsvierteln und Gangsterszene erzählte.Jimmy Cliff spielte die Hauptrolle. 1972 machte „The Harder They Come“ aus vielen Zufallsbesuchern in europäischen und amerikanischen Studentenkinos Reggaefans.

Ausgerechnet dieser Höhepunkt markiert jene Wende in Jimmy Cliffs Karriere, die erklärt, warum sein Name heute vielen unbekannt ist. Bittere Ironie, dass der Filmtitel auf Deutsch ja „Je härter der Aufstieg, desto brutaler der Fall“ lauten müsste.

Noch vor dem Filmstart war Leslie Kong gestorben, und damit riss für Cliff auch einen Verbindung zum Reggae ab. Mit dessen schwurmeliger Rastafari-Mythologie hatte er nichts am Hut, und musikalisch träumte er davon, sich weiterzuentwickeln, näher am Pop und Soul und anderen Trends zu bleiben. Irrwitzigerweise versuchte er das gerade dann, als Reggae der Sound der Stunde wurde und das westliche Publikum sich eine Weile vom kruden Rastafari-Unfug und der ernst gemeinten Freiheitskämpferpose vieler Dreadlock-Träger verzücken ließ. Island Records setzte auf den neuen Star Bob Marley, und Jimmy Cliff landete für lange Zeit in einem Zwischenreich aus Synthie-Gezwitscher und Jamaika-Beats. Der große Lichtblick kam 1993, als Cliffs Coververison von „I Can See Clearly Now“ auf den Soundtrack der Komödie „Cool Runnings“ über ein Olympia-Bob-Team aus Jamaika aufgenommen wurde und in die Charts sprang.

Wiedergeburt

„Rebirth“ heißt nicht ganz zu Unrecht ein endlich mal wieder gut produziertes Album aus dem Jahr 2012 von Cliff, auf dem seine Stimme zwar deutlich gealtert, aber immer noch durchdringend ist, das drängende Beschwören eines Mannes, der einen zum Aufbruch aus dem bloßen Herumhocken überreden will. Aber wer am 70. Geburtstag von Jimmy Cliff zu den vielen gehört, die zugeben müssen, noch nie von diesem Reggae-Pionier gehört zu haben, sollte zunächst einen Tag lang mit den Klassikern des Mannes feiern.