Stuttgart ist nicht nur eine Hip-Hop-Hochburg und neuerdings auch dank der Nerven und anderer eine Indie-Keimzelle, sondern auch eine Reggae-Stadt. Deren derzeit wichtigste Botschafter: die Genre-Künstler Jugglerz.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Es gibt Orte, an denen Jamaika, an denen Reggae und Rhythmus wahnsinnig weit weg scheinen. Der Stuttgarter Rotebühlplatz ist solch ein Ort, den man eher mit Finanzamt und Feinstaub als mit Strandparty und Grasgeruch assoziiert. Und dennoch befindet sich dort in einem Hinterhof die inoffizielle jamaikanische Botschaft Stuttgarts, ein Zentrum für Dancehall und andere Spielarten des Reggae. Im Robau 51, wobei das Ro hier eine Verbeugung vor Rotebühlstraße 51a ist. Dort liegt das Kreativareal, in dem sich die umtriebige Urban Art Gallery, eine Filmproduktionsfirma und das Studio von Produzent und Orsons-DJ Jopez befindet, hier residieren die Jugglerz, das derzeit erfolgreichste Soundsystem in Deutschland.

 

Um zu erklären, was Paul Spurny und Martin Willumeit als Jugglerz so treiben, muss man sich auf die Sprache des Reggae, auf die Sprache Jamaikas einlassen. Auf das wundersame Patois, jene Mischung aus Englisch, Spanisch, Französisch und afrikanischen Sprachen – siehe Kasten. Wer diese abenteuerliche Sprach-Reise mitmacht, wird zum einen mit der Erkenntnis belohnt, dass Stuttgart nicht nur eine Hip-Hop- und neuerdings eine Indie-Hochburg ist, sondern auch eine Reggae-Stadt. Vor allem lernt man aber zwei 34-Jährige „Weißbrote“, wie sie selbst salopp sagen, besser kennen, die in Jamaika auf der Straße erkannt werden, im vergangenen Jahr durch die USA, Panama und Costa Rica getourt sind und am vergangenen Wochenende vor 10 000 Fans dem Stuttgarter Rapper Cro auf dem Festival Summerjam in Köln Reggae-Nachhilfe gegeben haben.

Die Jugglerz heimsen massenweise Trophäen ein

„Willkommen im Mini-Meatpacking-District von Stuttgart“, sagt Paul Spurny lächelnd in Anspielung auf die Vergangenheit des Robaus als Schlachterei. In der Welt der Jugglerz heißt Spurny Shotta Paul, sein Kompagnon Willumeit DJ Meska.

Die Jugglerz führen durch ihr Reich. Im ersten Raum befindet sich ein Tonstudio, von dem aus die beiden ihre Radioshow einmal pro Woche in die ganze Welt senden. Im Studio nehmen die beiden aber auch die Produktionen für ihr eigenes Label auf. An den Wänden sind die Trophäen zu bewundern, die die beiden mit ihrem Soundsystem einheimsen konnten: In ihrer Spielart des Genres treten Soundsysteme in einem musikalischen Wettbewerb gegeneinander an, bei dem nicht nur die Musik, sondern auch der Unterhaltungsfaktor eine wichtige Rolle spielen. „Reggae ist immer noch eine klischeebehaftete Musikrichtung, bei der viele an bekiffte Zottel mit Rastas denken“, sagt DJ Meska grinsend. Die Jugglerz sind von dauerbreiten Rastamännern so weit weg wie Stuttgart geografisch von Kingston. Sie sind die Protagonisten der Reggae-Spielart Dancehall, bei der es so schnell und schweißtreibend zugeht, dass bei jeder Party Handtücher zur Grundausstattung gehören.

Paul Spurny lebte eine Weile auf Jamaika

Kennen gelernt haben sich Spurny und Willumeit beim Studium in Konstanz über die gemeinsame Leidenschaft für den Sound der Karibik. Willumeit studierte Sport und sammelte erste Erfahrungen als Hip-Hop-DJ, Spurny studierte Englische und Amerikanische Literatur. Seine Magisterarbeit behandelte das Thema „Reggae als Spiegel der Gesellschaft“. Dabei tauchte er tief in die Materie ein und lebte für einige Zeit auf Jamaika in einer Wellblechhütte.

Seit dieser Zeit spricht Shotta Paul fließend Patois. Gemeinsam mit Willumeit alias DJ Meska waren beide einige Jahre lang beim legendären Stuttgarter Soundsystem Sentinel aktiv, ehe sie die Jugglerz gründeten. Spätestens seit Shotta Paul bei einem Auftritt auf Jamaika einen etwas in die Jahre gekommenem Star-DJ Tony Matterhorn auf der Bühne die Grenzen aufgezeigt hat, gelten die Jugglerz als die aufstrebenden Genre-Vertreter in Europa. „Unser Auftritt verbreitete sich über Twitter und Instagram hinaus in die ganze Reggae-Welt“, sagt Paul Spurny. Da viele Jamaikaner nach England oder in die USA ausgewandert sind, haben die Stuttgarter nun auf der ganzen Welt Fans.

Cro und die Jugglerz vor 10 000 Fans

Das kam am vergangenen Wochenende auch dem Rapper Cro zu Gute. Der war auf das größte Reggae-Festival Deutschlands, das Summerjam nach Köln gebucht, das die Stuttgarter Firma Contour veranstaltet. Die Reggae-Fans waren gegenüber dem Rapper zuerst etwas skeptisch, also bat die Cro-Firma Chimperator die Jugglerz um Unterstützung. „Wir haben dann Cro bei seinem Auftritt unterstützt. Das war eine unglaubliche Erfahrung vor solch einem großen Publikum“, sagt Spurny über die Nachhilfestunde für Cro. Wer weiß, vielleicht ist der talentierteste Rapper im Land ja auf den Geschmack gekommen und schaut demnächst auf einer der Jugglerz-partys in Stuttgart vorbei, die immer am ersten Samstag im Monat im Tonstudio stattfinden. Ein bisschen Jamaika hat in Stuttgart-Mitte noch keinem geschadet.

Der kleine StZ-Dancehall-Duden: Patois für einsteiger

Wha gwan
Jamaikanisch für „What is going on“, was geht ab. Ganz wichtige Einstiegsfrage auf der Bühne, bei der Party, im Alltag. Selbst US-Präsident Obama begrüßte im April dieses Jahres bei einer Rede in Kingston, Jamaika seine Zuhörer mit einem herzlichen „Wha gwan Jamaica“. „Ich bin ein Jamaikaner“, wollte er damit sagen.

Irie
Selbstverständlich haben die Jugglerz das Obama’sche „Wha gwan Jamaica“ längst gesampelt und den Satz in ihre Shows eingebaut. Das finden nicht nur ihre Fans „irie“, was in der Rasta-Sprache so viel wie „alright“ bedeutet. Irie meint aber mehr, als etwas gut zu finden. Der Ausspruch verweist darauf, dass man sich auf einer höheren Ebene im Einklang mit der Natur steht. So wie StZ-Leser eben auch irie sind.

Pull Up Selecta
Der DJ heißt im Reggae „Selecta“, denn er selektiert die Lieder im Club. Wenn ein Song besonders gut gefällt, dann wollen die Feiernden das Stück ganz dringend noch einmal hören und fordern dies mit einem lauten „Pull Up!“ ein.