Terrorangst und Flüchtlingskrise: Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall reformierte die Polizei in schwieriger Zeit. Das brachte Probleme mit sich, doch am Ende erwies sich der SPD-Politiker als Aktivposten im Kabinett.

Im Zeichen von Terrorangst und Flüchtlingskrise wächst einem Regierungsmitglied besondere Bedeutung zu: dem Innenminister. So ist es in der ablaufenden Legislaturperiode auch Reinhold Gall ergangen. Der SPD-Politiker, von Haus aus Fernmeldetechniker, gehörte zu den am meisten beanspruchten Mitgliedern des grün-roten Kabinetts. Wozu er mit seinem Reformeifer allerdings selbst beitrug. Kaum im Amt, krempelte er sogleich die Polizei um. Gall setzte die umfassendste Polizeireform in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg in Gang.

 

Gegen den massiven Widerstand der Opposition zentralisierte der Innenminister die Führungsebene der Polizei. 34 Polizeidirektionen, drei Polizeipräsidien sowie vier Landespolizeidirektionen gingen in zwölf Regionalpräsidien auf. Dazu schuf Gall noch drei Spezialpräsidien für die Bereiche Einsatz, Technik und Bildung. Hingegen blieben auf der unteren Ebene die 146 Polizeireviere und 360 Polizeiposten unberührt. Ziel der Reform war, mehr Beamte auf die Straße zu bringen. Außerdem ging es Gall darum, mit zusätzlichen Stellen auf neue Verbrechenstrends zu reagieren, zum Beispiel die anwachsende Internetkriminalität.

Die Opposition hält die Reform für überdimensioniert

Die Reform löste erhebliche Unruhe aus: in der Polizei, weil etliche Beamte die Dienststelle wechseln und deshalb weitere Anfahrtswege in Kauf nehmen mussten – wenn sie es nicht vorzogen, innerhalb der Polizei eine neue Aufgabe zu übernehmen. Dabei sei viel Fachwissen verloren gegangen, argumentieren Kritiker wie der CDU-Abgeordnete Thomas Blenke. Kritik kam auch aus der Kommunalpolitik. Den Landräten missfiel, dass sie im Landkreis „ihren“ Polizeidirektor verloren. Unter den Oberbürgermeistern gab es einige, die den Verlust „ihrer“ Polizeidirektion beklagten, aber auch einige Gewinner, die ihre Stadt dank eines Polizeipräsidiums aufgewertet sahen.

Inzwischen sieht sich Innenminister Gall mit seiner Reform bestätigt. CDU und FDP hingegen halten sie für überdimensioniert, werden sie jedoch im Fall eines Wahlerfolgs kaum rückgängig machen. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf lässt lediglich durchblicken, dass er die Zahl der Präsidien erhöhen werde. Wer etwa Ravensburg unter die Führung des Polizeipräsidiums Konstanz stelle, der kenne das Land nicht, grummelte der gebürtige Oberschwabe Wolf.

Peinliche Schlappe

Eine peinliche Schlappe musste der Innenminister allerdings hinnehmen. Beim ersten Versuch, die neuen Polizeipräsidien mit Polizeipräsidenten zu versorgen, verfing sich Gall in den eng geknüpften Maschen des Beamtenrechtes. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe machte bei der Stellenbesetzung einen Verfahrensfehler aus, worauf die meisten Präsidenten erst einmal auf dem Trockenen saßen und die Polizei ohne die Chefs in die neue Struktur überging.

Nach Darstellung der Opposition liegt in der Polizeireform auch die Ursache für die gestiegene Einbruchskriminalität in Baden-Württemberg. Die Polizei sei mit sich selbst beschäftigt gewesen und lasse es an der Durchschlagskraft fehlen, befanden CDU und FDP. Der Innenminister erkannte die Brisanz des Themas. Ein Wohnungseinbruch kann Menschen traumatisieren und ihr Sicherheitsgefühl massiv beeinträchtigen. „Tut was“, raunte Gall der Polizeiführung im Ministerium zu. Das Ergebnis: ein „Offensivkonzept zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls“, das zusätzliche Stellen für Polizeianwärter vorsieht sowie die in der Finanzplanung vorgesehene Streichung von Polizeistellen in den Jahren 2017 und 2019 zurücknimmt. Zuletzt ging die Zahl der Wohnungseinbrüche dann auch zurück.

Neue Stellen auch für den Verfassungsschutz

Überhaupt gelang es Gall, den Stellenplan der Polizei auf Expansion zu trimmen. Changierte die Zahl der Neueinstellungen in den vergangenen Jahren um 800 (2012 waren es 1200 wegen des doppelten Abiturientenjahrgangs), wird sie in den kommenden Jahren kräftig ansteigen. Bereits in diesem Jahr werden 1100 Anwärter in die Polizei aufgenommen. Für 2017 und 2018 sind je 1400 Neueinstellungen vorgesehen, 2019 sind es 1050, 2020 immer noch 900. Allerdings steigt auch die Zahl der Abgänge in den Ruhestand. Deshalb öffnete Gall 2014 einen Einstellungskorridor, der 250 kw-Stellen (künftig wegfallend) enthält.

Anfang 2015 legte der Innenminister nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ein Antiterror-Paket auf – mit einem Volumen von 27 Millionen Euro und 130 zusätzlichen Stellen für Polizei, Verfassungsschutz und Justiz. Nach dem neuerlichen Terroranschlag im November schob Gall ein zweites Paket hinterher, das ein Volumen von 30 Millionen Euro umfasst. Außerdem bekam der Innenminister 219 Stellen für die Verwaltungsarbeit der Polizei. Diese Fachkräfte müssen nicht erst ausgebildet werden, sondern sind auf dem Arbeitsmarkt schnell verfügbar. Polizisten werden so von Schreibtischarbeit entlastet und können sich auf ihre Kernkompetenz besinnen.

Blütezeit für Sicherheitspolitiker

Eine Stärkung im Kampf gegen gewalttätige Islamisten erfährt auch der Verfassungsschutz, der unter anderem einen zusätzlichen Observationstrupp erhält. Von einem Kahlschlag bei der Behörde, wie ihn die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann in Aussicht gestellt hatte, ist nicht mehr die Rede. In der Sicherheitspolitik verhält es sich indes oft so wie mit dem Hasen und dem Igel. Während noch an der Lösung für das eine Problem gearbeitet wird, kommt das nächste schon um die Ecke.

Von Wohnungseinbrüchen ist derzeit nur noch wenig die Rede, dafür ist die Polizei damit beschäftigt, Schlägereien in Flüchtlingsheimen zu unterbinden oder – so Galls jüngster „Fünf-Punkte-Plan“ – Frauen vor sexuellen Übergriffen bei Massenevents schützen. Die Opposition verspricht im Falle eines Wahlsiegs zusätzliche Stellen: 1000 die FDP, 1500 die CDU.

Unsichere Zeiten sind immer auch Blütezeiten für die Sicherheitspolitiker. Plötzlich werden ihnen die Wünsche von den Lippen abgelesen. So gab die Grünen-Fraktion zuletzt Reinhold Galls Verlangen nach sogenannten Bodycams für die Polizei nach. Sie ermöglichen Videoaufnahmen im Einsatz. Die Kennzeichnungspflicht von Polizisten bei Großeinsätzen, eine Uraltforderung der Grünen, wehrte Minister Gall jedoch ab.