Der Bundestag ist zur Untätigkeit verdammt. Weil noch keine Ausschüsse eingesetzt sind, können keine Gesetze beraten werden. Es fehlt eine Kontrolle der Regierung. Die Koalitionsverhandlungen führen zu ersten Problemen.

Berlin - Es ist die zweite Sitzung des neuen Bundestags: Auf dem Programm stand am Montag die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Osteuropa. Außerdem debattierte das Parlament über die Spionageaffäre. Am frühen Abend waren viele Abgeordnete schon wieder unterwegs in ihre Wahlkreise. Abgesehen von den wenigen Reden im Parlament ruht die Arbeit des Deutschen Bundestags. Die Beratungen in den Ausschüssen, die Kern des Parlamentsbetriebs sind, fallen vorerst aus.

 

Weil die Verhandlungen zur Regierungsbildung nur langsam vorankommen, ist das Parlament beeinträchtigt. Das ist immer so nach Wahlen. In der Vergangenheit dauerten Koalitionsverhandlungen aber selten so lange. Während Vertreter von Union und SPD über den vorübergehenden Leerlauf im Parlament kein Wort verlieren, wächst in der Opposition das Unbehagen. Tatsächlich führt der monatelange Stillstand in der Gesetzgebung zu Problemen. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat dies erkannt. Er sucht nach Behelfslösungen.

Die letzte Aussprache im Hohen Haus fand am 3. September statt

Die verordnete Zwangspause des Parlaments verzögert wichtige Gesetze. Noch bekommt die Öffentlichkeit davon nicht viel mit. Dies könnte sich aber bald ändern, da wichtige Regelungen auf Eis liegen, die Bund, Ländern und Kommunen Milliardeneinnahmen sichern. Der Stillstand im Bundestag wirkt sich auch auf die Bundesländer aus, denn deren Gesetzesinitiativen im Bundesrat bleiben liegen. Sieht man von der konstituierenden Sitzung des Bundestags und der gestrigen Plenardebatte ab, fand die letzte Aussprache im Hohen Haus am 3. September statt. In der Zwischenzeit hat sich einiges aufgestaut.

Große Sorgen machen sich die Bundesländer über das Ausbleiben des so genannten AIFM-Steueranpassungsgesetzes. Das Finanzgesetz hat enorme Folgen für die öffentlichen Haushalte: Es schränkt steuerlichen Missbrauch im Investmentsteuerrecht ein. Falls die neuen Regeln, über die vor der Wahl bereits im Vermittlungsausschuss verhandelt worden sind, nicht bis zum Jahresende verabschiedet werden, erwarten die Länder für alle staatlichen Ebenen Steuerausfälle von vier Milliarden Euro im nächsten Jahr. Um die Dringlichkeit zu unterstreichen, brachte der Bundesrat auf seiner Sitzung Anfang November eine Neuregelung auf den Weg.

Für die Beratung eilbedürftiger Gesetze bleibt kaum Zeit

Doch in den Bundestagsausschüssen kann die Vorlage der Länder nicht beraten werden. Denn die große Koalition will erst nach Ende der Koalitionsverhandlungen ihre Mitglieder in die Bundestagsausschüsse entsenden. Das könnte für eilbedürftige Regelungen wie das AIFM-Steuergesetz zu spät sein: Denn die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel soll am 17. Dezember zur neuen Regierungschefin gewählt werden. Der Bundesrat kommt am 19. Dezember zu seiner letzten Sitzung in diesem Jahr zusammen. Für die Beratung eilbedürftiger Gesetze bleibt kaum Zeit.

Damit will sich die Opposition nicht abfinden. Die Regierung nehme das Parlament zur Geißel, sagte der Linken-Vizefraktionschef Dietmar Bartsch. Der Bundestag sei der Souverän, erinnerte Bartsch. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt plädierte dafür, ein geordnetes Verfahren zu schaffen, um wichtige Gesetze beraten zu können. Die Politiker von Union und SPD, die im Bundestag eine überwältigende Mehrheit haben, zeigen sich davon unbeeindruckt. Notfalls soll es vor Weihnachten eine Gesetzgebung im Schnellverfahren geben. Da sich Union und SPD die Steuermilliarden beim Investmentgesetz nicht entgegen lassen wollen, soll das Investmentgesetz vor den Feiertagen durchgepeitscht werden. Auch bei der Rente soll alles ganz rasch gehen. Schwarz-Rot plant ein Gesetz, damit der Rentenbeitragssatz im nächsten Jahr stabil bleibt. Nach der bisherigen Rechtslage ist der Beitrag zu senken. Dies will Schwarz-Rot verhindern, um mit Milliarden aus der Rentenkasse Wahlgeschenke zu finanzieren.

Die langen Koalitionsverhandlungen bergen gerade mit Blick auf die Eurokrise Gefahren

Am Anfang entscheidet sich, wie die große Koalition ihre breite Mehrheit im Parlament nutzt. Nach der Geschäftsordnung des Bundestags sind Eilverfahren durchaus möglich. Doch die Kritiker pochen auf gründliche Beratungen in Ausschüssen. Die Linke forderte im Bundestag, die Bundestagsausschüsse rasch zu besetzen. Das lehnt die große Koalition jedoch ab.

Die langen Koalitionsverhandlungen bergen gerade mit Blick auf die Eurokrise Gefahren. Bis zum Jahresende wollen sich die europäische Finanzminister über die Ausgestaltung der Bankenunion einig werden. Vorgesehen ist, dass klamme Geldhäuser in Europa unter bestimmten Bedingungen Finanzspritzen aus dem Rettungsschirm ESM erhalten sollen.

Damit steht Geld der Steuerzahler auf dem Spiel. Über die Gespräche der Finanzminister werde der Bundestag nicht informiert, rügte die Grünen-Haushaltspolitikerin Priska Hinz. Das sei ein gravierendes Problem. „Gerade in der Europapolitik hat das Parlament verbriefte Rechte“, so Hinz. Eine Kontrolle der Europapolitik könnten die Abgeordneten zurzeit nicht ausüben. „Das ist eine Missachtung des Parlaments“, so die Politikerin.