Die Grünen haben die Qual der Wahl. Oder auch den Luxus, ganz wie man es nimmt. Es wird eine knappe Entscheidung, glauben Politikexperten. Mit dem besseren Ende für eine alte Bekannte.

Stuttgart - Vor der Entscheidung der Grünen im Südwesten für einen möglichen Koalitionspartner haben zwei Politikwissenschaftler ihren Favoriten bereits ausgemacht. Allen geäußerten Tendenzen zur „Ampel“ zum Trotz rechnet der Stuttgarter Parteienforscher Frank Brettschneider nach wie vor nicht mit einer grün-rot-gelben Regierungskoalition in Baden-Württemberg. Auch der Politikwissenschaftler Marcus Debus geht eher von einer Fortsetzung des grün-schwarzen Bündnisses aus. Er beruft sich dabei auf ein bislang sehr oft bewährtes Rechenmodell seines Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES).

 

„Eine Ampel wäre für mich eine Überraschung, wenngleich ich sie natürlich nicht ausschließe“, sagte Brettschneider. Thematisch gebe es zwar weder bei Grün-Schwarz noch bei einer Ampel unüberbrückbare Hindernisse. „Die Grünen sitzen bei allen Kombinationen am längeren Hebel“, sagte der Professor der Universität Stuttgart-Hohenheim. „Am Thema wird es nicht scheitern.“

Eisenmann zieht sich zurück

Aber bei einer grün-schwarzen Koalition stünden nach dem Abschied von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auch Personalentscheidungen nicht mehr im Wege. „In einer Ampel wäre Ministerpräsident Winfried Kretschmann hingegen früher oder später der Schlichter zwischen den Fraktionschefs von FDP und SPD, Hans-Ulrich Rülke und Andreas Stoch“, sagte Brettschneider der Deutschen Presse-Agentur.

Außerdem sei die Distanz der FDP zu den Anhängern der Grünen nach wie vor sehr groß. „In der Wählerschaft gibt es insgesamt eher eine Sympathie für Grün-Schwarz. Eine Wechselstimmung nehmen wir nicht wahr.“ Und während FDP und CDU bei Fragen des für die Grünen wichtigen Klimaschutzes nicht weit voneinander entfernt seien, sei eine verlässliche Zusammenarbeit in der Corona-Politik mit der CDU unproblematischer und vertrauensvoller als mit den Liberalen.

Aufbruch mit Ampel leichter

Es komme hinzu, dass die Grünen in einer Zweierkoalition mehr zu sagen hätten als in einem Dreierbündnis, sagte Brettschneider. „Man muss den Kuchen dann nur mit einem Partner teilen, nicht mit zwei anderen.“ Fraglos ließe sich allerdings mit einer Ampel leichter ein Aufbruch darstellen als mit einem „Weiter so“ für Grün-Schwarz, räumte er ein. „Aber am Ende stellt sich die Frage nach der Substanz. Und bis Frau Eisenmann auf Konfrontationskurs ging, war das bei Grün-Schwarz nicht so schlecht.“

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Nach dem Ende der Vorgespräche mit der CDU sowie mit SPD und FDP für eine neue Regierung wollen die Grünen noch an diesem Mittwoch ihre Partner für Koalitionsverhandlungen bestimmen. Der 72-jährige Kretschmann ließ bis zuletzt offen, ob der derzeitige Koalitionspartner CDU oder SPD und FDP mit ihren Bemühungen um ein Ampel-Bündnis bessere Karten haben. Mit einer Entscheidung wird am Abend gerechnet. Zunächst will sich das grüne Verhandlungsteam um Kretschmann am Vormittag (11.00 Uhr) in der Regierungszentrale in Stuttgart treffen, um die drei Sondierungsgespräche mit den potenziellen Partnern zu bewerten.

Das spricht für die CDU

Der Mannheimer Debus rechnet mit einer knappen Entscheidung zugunsten der CDU. „Nimmt man den sogenannten Amtsinhaberbonus dazu, der einer amtierenden Regierungskoalition einen gewissen Vorteil zugesteht, dann spricht etwas mehr für eine Fortsetzung der grün-schwarzen Koalition“, sagte der Politikwissenschaftler der dpa. In die Berechnung fließen die Stärken der Parteien im Parlament und ihre inhaltlichen Positionen ein. Berücksichtigt werden auch Koalitionsaussagen sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat.

„Es bedarf schon einer großen Kraftanstrengung, dass sich die Grünen, die SPD und die Liberalen auf ein gemeinsames Politikangebot einigen“, sagte Debus der dpa. Die Ampel könne allerdings auch eine Zeichen für eine Reformkoalition darstellen, die fortschrittlicher eingestellt wäre als eine Fortsetzung der grün-schwarzen Zusammenarbeit.

Auch die programmatische Distanz zwischen Grünen und CDU sei nach wie vor groß. Mögliche Verhandlungen beider Parteien würden nicht unkompliziert verlaufen. „Gleiches gilt – in noch stärkerem Ausmaß – für eine Koalition, die Grüne, FDP und SPD umfasst“, sagte der Experte. Die Unterschiede gerade in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen zwischen Grünen und Liberalen seien weitreichend. Beide Parteien müssten deutlich spürbare Zugeständnisse an den jeweiligen Partner machen, was wiederum innerparteilich zu Diskussionen führen und Parteien wie die Klimaliste stärken könnte.