Italienische Wirtschaftsvertreter haben hohe Erwartungen an Italiens künftige Premierministerin Giorgia Meloni. Ihre postfaschistische Gesinnung ist kaum ein Thema.

Giorgia Meloni, die Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, steht unmittelbar vor der Bildung einer neuen Regierung in Italien. Zuletzt hat sich Meloni sehr zurückgehalten und klar von den Putin-freundlichen Äußerungen ihres künftigen Regierungspartners Silvio Berlusconi distanziert. Doch bei einer Veranstaltung des Landwirtschaftsverbands Coldiretti in Mailand wurde sie gefeiert, als sie rief, Italien müsse seine nationalen Interessen besser verteidigen. Ähnlich war der Empfang, als sie vor Unternehmern des italienischen Handels- und Dienstleistungsverbandes Confcommercio in Rom vor einer „unkontrollierten Globalisierung“ warnte.

 

Hoffnung auf Stabilität

Was ist von Melonis Äußerungen und den wohlwollenden Reaktionen aus der Wirtschaft zu halten? Grundsätzlich hoffen viele Unternehmer auf eine Regierung, die sich eine längere Zeit an der Macht hält. „ Das würde für Stabilität sorgen. Wir erwarten, dass das europäische Aufbauprogramm fortgeführt und die deutsch-italienische Partnerschaft gestärkt wird“, sagt Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand: „Entscheidend wird jetzt sein, mit welchen Personen Meloni die wichtigen Ministerien besetzt.“ Deutschland ist für Italien international der bei weitem wichtigste Handelspartner.

Selbst Maurizio Landini, Chef des italienischen Gewerkschaftsbundes Cgil, streckt die Hand aus: „Das Wahlergebnis ist klar. Jetzt ist der Moment, um die Probleme der Menschen und des Landes zu lösen.“ Für Stefano Caselli, Wirtschaftsprofessor an der Mailänder Universität Bocconi, ist hingegen entscheidend, wie sich die neue Regierung „im Hinblick auf die schwierigsten Entscheidungen zum Wachstum und zur Verschuldung verhält“. Dazu gebe es Fragen.

„Melonis Partei ist zu schnell und zu stark gewachsen und hat zu viele personalpolitische Lücken angesichts der großen Herausforderungen“, sagt Wissenschaftler Caselli. Als Konsequenz will Meloni Schlüsselpositionen wie das Finanzministerium mit Wirtschaftsfachleuten besetzen.

Schlechte Startbedingungen für die neue Regierung

Die Rating-Agenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch sind in höchster Sorge, denn die Startbedingungen für Italiens neue Regierung könnten schlechter kaum sein. Moody’s droht mit Herabstufung der Staatstitel auf Ramschniveau, sollte die Regierung vom Reformkurs im Rahmen des europäischen Aufbauprogramms abkommen und Neuverhandlungen des Programms verlangen, wie sie Meloni im Wahlkampf gefordert hatte. Raffaele Jerusalmi, langjähriger Chef der Börse Mailand und heute als Berater des Vermögensverwalters Pictet tätig, bezeichnet es als Herausforderung, „die für den Erhalt der Mittel des europäischen Aufbauprogramms nötigen Reformen umzusetzen, um diese einmalige Chance nicht zu verlieren“.

Der Zinsabstand zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen stieg zeitweise auf 254 Basispunkte. Mit zuletzt bis zu 4,7 Prozent zahlt Italien für neue Schulden so hohe Zinsen wie seit dem Jahr 2012 nicht mehr. Die Kreditausfallrisiken der Banken nehmen zu. Die Institute sind vollgesogen mit italienischen Bonds, was hohe Risiken birgt. Den Unternehmen drohen Liquiditätsengpässe. Die Keramikindustrie beispielsweise hat angesichts der explodierenden Energiepreise ihre Öfen bereits abgeschaltet.

Gabriele Menotti Lippolis vom Industriellenverband Confindustria ist besorgt über die wirtschaftlichen Aussichten. Die Zeit dränge. „Es droht ein Tsunami des gesamten produzierenden Sektors mit einem möglicherweise irreversiblen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Wir erwarten von der neuen Regierung ein entschlossenes Vorgehen“, sagt der Confindustria-Chef in der apulischen Provinz Brindisi.

Salvinis „Verrücktheiten“

Erleichterung herrscht darüber, dass der unberechenbare Lega-Chef Matteo Salvini bei den Wahlen kräftig zurechtgestutzt worden ist. Sein Einfluss in der künftigen Regierungskoalition dürfte begrenzt sein. „Wir können uns keine Verrücktheiten wie eine Flat Tax und Frühpensionierungen erlauben“, sagt Carlo Bonomi, Präsident der gesamtitalienischen Confindustria. Nach Berechnungen der Katholischen Universität in Mailand würde allein die von Salvini geforderte Flat Tax von 15 Prozent für Einkommen bis 100 000 Euro jährlich 60 Milliarden Euro kosten.

Dass Meloni, die künftige Premierministerin, von einem Europa als einer Konföderation souveräner Staaten träumt und nationalen Regeln Vorrang geben will, hält die renommierte Ökonomin Lucrezia Reichlin indessen für „sehr beunruhigend“. Kürzlich hat Meloni ihre Unterstützung für die spanische Rechtsaußenpartei Vox erneuert und Ungarns Premier Victor Orban gegen eine Resolution des Europäischen Parlaments verteidigt, wonach Ungarn nicht mehr als Demokratie bezeichnet werden solle.

Italien profitiert massiv von EZB-Programmen

Frühere Überlegungen eines Euro-Austritts hat Meloni dagegen aufgegeben, weil ein solches Vorhaben bei den italienischen Unternehmen nicht gut ankäme. Kein Land erhält so viel Geld von Europa wie Italien. Darüber hinaus profitiert Rom massiv von Anleiheaufkaufprogrammen der Europäischen Zentralbank (EZB), die ein weiteres Instrument geschaffen hat, das im Bedarfsfall den Anstieg der Zinsen auf italienische Bonds eindämmen soll.