Regierungschaos in Brüssel Brüssel ohne Regionalregierung: Taumeln am finanziellen Abgrund
Die Region Brüssel sucht seit fast einem Jahr nach einer Regierung. Die Parteien haben sich hoffnungslos verkeilt.
Die Region Brüssel sucht seit fast einem Jahr nach einer Regierung. Die Parteien haben sich hoffnungslos verkeilt.
Bart de Wever hat die Nase voll. Belgiens Premierminister setzt den Abgeordneten des Brüsseler Regionalparlaments die Pistole auf die Brust. Wenn sich die zerstrittenen Parteien nicht endlich auf eine neue Regierung einigen, droht er, werde die Region Brüssel unter Aufsicht des Bundes gestellt. Auch wenn das rechtlich nicht möglich sei, so de Wever, so geschehe das eben über den Geldhahn. Die Stadt sei schon praktisch zahlungsunfähig und hänge von der Unterstützung der Bundesregierung ab.
Nach einem Jahr ist Bart de Wever, wie vielen seiner Landsleute, offensichtlich der Geduldsfaden gerissen. Seit der Wahl im Juni 2024 muss das Land mitansehen, wie sich die Abgeordneten im Brüsseler Regionalparlament in einem endlosen Ringen um die politische Macht verkeilt haben.
Der Warnschuss scheint gehört worden zu sein. In diesen Tagen haben die 89 Parlamentarier angekündigt, ein bisschen sparen zu wollen. Dafür wollen sie gar auf fünf Prozent ihrer Diäten verzichten, die mit fast 10 000 Euro pro Monat üppig ausfallen. Aber auch das wird nicht reichen für einen ausgeglichenen Haushalt. Brüssel nimmt jedes Jahr rund 6,5 Milliarden Euro ein, gibt aber 8,5 Milliarden Euro aus. Der Schuldenstand hat sich bei 14 Milliarden Euro eingependelt.
Grund der Misere ist die Zersplitterung der politischen Landschaft in Belgien. Das beginnt bei der Teilung des Landes in das flämischsprachige, reichere Flandern und das französischsprachige, ärmere Wallonien. Auch die Parteienlandschaft ist sprachlich geteilt. Dass die Nationalisten in beiden Landesteilen eigene Programme haben, ist nachzuvollziehen. Dasselbe gilt aber für Sozialisten, Konservative oder Liberale.
Eine Sonderstellung in diesem Gefüge hat die Region Brüssel mit ihren rund 1,3 Millionen Einwohnern, die als „die Hauptstadt“ bezeichnet wird. Hier treibt die Zweisprachigkeit absurde Blüten. Bei der Parlamentswahl gibt es zwei verschiedene Listen, der Wähler muss sich entscheiden, ob er einem flämischsprachigen oder einen französischsprachigen Kandidaten seine Stimme geben will. Jeder Anlauf zu gemischtsprachigen Listen wurde niedergeschlagen, zumal sich auch Mitglieder einer Partei aus den verschiedenen Landesteilen nicht leiden können. Auch Abgeordnete innerhalb der beiden Sprachfamilien können sich nicht einigen. Dabei wäre die größte Hürde, dass am Ende alle Parteien aus den beiden Landesteilen eine gemeinsame Regierungskoalition bilden.
Die Verantwortlichen haben es sich in ihren Schmollwinkeln bequem gemacht. Die Grünen, weil sie die großen Wahlverlierer sind und entschieden haben, in die Opposition zu gehen. Also bräuchte es zur Bildung einer Mehrheit die flämischen Nationalisten der Partei N-VA. Mit denen wollen aber selbst die flämischen Sozialisten nicht koalieren, weil sie glauben, die Nationalisten möchten Belgien als Staat zerstören.
Täglich schwirren nun neue Ideen durch den Raum, wie die Blockade gelöst werden könnte. Thierry Geerts, Präsident der Industrie- und Handelskammer der Region Brüssel, bringt ein Konklave ins Spiel, will die Fraktionsvorsitzenden der Parteien so lange im Brüsseler Parlament einsperren, bis „weißer Rauch“ aufsteigt. Das zwinge die Politiker dazu, endlich über wesentliche Themen zu diskutieren, ist der ehemalige Chef von Google in Belgien überzeugt. „Wir werden bald ein Jahr lang ohne Regierung sein, was völlig inakzeptabel ist“, sagt Thierry Geerts der Zeitung „Le soir“. Die Zeit dränge: Jeden Tag ohne Entscheidung rücke die Region einen Schritt näher an den finanziellen Abgrund.