Angela Merkel hat ihre Regierungserklärung abgegeben. „Weiter so“, heißt das Credo dieser Kanzlerin. Wer mit ihr regiert, ist für ihre „Erfolgsgeschichte“ Nebensache, kommentiert StZ-Redakteur Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es gibt einen Platz in der Politik, an dem klare Standpunkte und Standhaftigkeit gefordert sind. An diesem Platz wird am Mittwochmorgen eine Sitzgelegenheit aufgebaut. Es ist der Platz zu Füßen des Bundestagspräsidenten. Dort steht das Rednerpult. Stühle sind da für gewöhnlich nicht vorgesehen. Angela Merkel erzwingt eine historische Ausnahme. Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Kanzler eine Regierungserklärung im Sitzen vorgetragen.

 

Merkel bleibt nichts anderes übrig. Gemessen an ihrem Wahlergebnis und an ihrem Rückhalt im Parlament war sie nie stärker. Und dennoch erleben sie die Abgeordneten geschwächt. Nach ihren Skiunfall im Weihnachtsurlaub laboriert sie noch an einer Verletzung. Sie humpelt an zwei Krücken zum Mikrofon. So beginnt die zehnte Sitzung dieser Legislaturperiode. Neun Sitzungen mussten die Parlamentarier über sich ergehen lassen, ohne erklärt zu bekommen, was die neue Regierung eigentlich vorhat. Noch nie hat es so lange gedauert, bis der Politikbetrieb nach einer Wahl wieder in Fahrt kommt. Merkel hat in dieser Zeit nicht den Eindruck erweckt, sie säße besonders ungeduldig an den Schalthebeln der Macht. Sie pflegt eine Politik der im Schoß ruhenden Hände. Während der Koalitionsverhandlungen und danach schien ihr allzu imperiales Gehabe nicht ratsam, um die Genossen nicht gegen sich aufzubringen. Und seit die große Koalition steht, ließ sie ihren Vizekanzler und dessen Minister so energisch schalten und walten, dass bereits der Spott aufkam, Sigmar Gabriel sei in Wahrheit so etwas wie ein Schattenkanzler.

Seit acht Jahren regiert die CDU-Vorsitzende

Merkel scheint das wenig zu bekümmern. In Meseberg war ihr das noch eine spitze Nebenbemerkung wert. Sie erinnerte Gabriel daran, dass die Politik der Koalition ein gemeinsames Projekt sei. Die Regierungserklärung ist frei von solchen Mahnungen. Der für Merkel bereitgestellte Stuhl steht wie ein Thron vor dem Plenum. Anders als die Sitze der Abgeordneten ist er nicht am Boden festgeschraubt – die thronende Kanzlerin soll ja nicht von Dauer sein. Merkels Rede hat einen durchaus royalen Anklang. Sie erzählt die jüngere Geschichte unseres Landes als „Erfolgsgeschichte“, in der sie die Hauptrolle spielt.

Diese Geschichte beginnt in der Zeit, als Deutschland der „kranke Mann Europas“ war. Damals regierten SPD und Grüne. Seit acht Jahren regiert Merkel. Und sie selbst zieht die Bilanz: „Deutschland geht es so gut wie lange nicht.“ Die folgenden 55 Minuten Redezeit lassen sich mit zwei Worten zusammenfassen: Weiter so. Die Kanzlerin sitzt dabei auf ihrem Stuhl und liest vom Blatt ab wie eine Oberlehrerin, die mit ihrer Klasse vor der Prüfung noch einmal den mühsam erlernten Stoff wiederholt. Entsprechend verfährt sie mit Störenfrieden. „Warten Sie’s doch einfach mal ab“, herrscht sie die Linken an, als die dazwischen rufen. Und die Grünen ermahnt sie: „Einfach mal zuhören!“

Merkel will „die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen“

Merkels Rede ist mit Begriffen gespickt, die auch die SPD gelegentlich zu Beifall animieren. Kompass für ihre Politik sei die soziale Marktwirtschaft, deren Prinzipien „zeitlos gültig“ seien. Im Mittelpunkt dieser Politik stehe allein der Mensch. Ihr Zweck sei es, „die Quellen des guten Lebens allen zugänglich zu machen“. Das klingt nach einer frohen Botschaft. „Bleibende Verdienste“ habe sich in dieser Hinsicht schon die erste große Koalition unter ihrer Regie erworben. Auch für die Agenda ihres sozialdemokratischen Vorgängers Gerhard Schröder hat sie Lob übrig.

Merkels eigene Ansprüche sind offenbar gewachsen. Vor vier Jahren war sie noch angetreten, um als „Kanzlerin aller Deutschen“ zu regieren. Das war ein Bekenntnis gegen die Klientelpolitik des damaligen Koalitionspartners FDP. Inzwischen sieht sie sich als „Kanzlerin aller Deutschen und aller in Deutschland lebenden Menschen, gleich welcher Herkunft“.

Vizekanzler Gabriel findet keine namentliche Erwähnung. Er darf sich dennoch gewürdigt sehen, da Merkel seinen Job eine „Herkulesaufgabe“ nennt, die ihm übertragene Energiewende „eine nationale Kraftanstrengung“. Solche Ausdrücke lassen mehr Leidenschaft vermuten als Merkel während ihrer Rede aufzubringen vermag. Sie hakt geschäftsmäßig die Spiegelstriche des Koalitionsvertrags ab.

Beim Thema Snowden zeigt Merkel etwas Leidenschaft

Nur an einer Stelle wird sie fast ein bisschen emphatisch. Ihre Zeit ist da fast schon um. Da kommt sie auf Edward Snowden zu sprechen und auf die von ihm offenbarten Geheimdienstpraktiken, „bei denen der Zweck die Mittel heiligt“, so Merkel. Sicherheitspolitik dieser Art zerstöre Vertrauen und säe Misstrauen, sagt die Kanzlerin. Sie räumt ein, das es schwer sei, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie die Datenschutzinteressen ihrer Partner zu berücksichtigen hätten. Da gebe es eine Kluft, die „nicht schon durch eine Reise von mir zu überwinden“ sei. Sie könne da „nur auf die Kraft unserer Argumente“ vertrauen. Das hört sich dann eher kraftlos an.

Lebhafter gebärdet sich der Linke Gregor Gysi, dem als Chef der größten Oppositionsfraktion die erste Replik auf die Kanzlerin zusteht. Doch seine Worte richten sich in der Hauptsache an deren Nebenmann, den SPD-Chef Gabriel, mit dem er gerne eine Linksregierung zustande gebracht hätte. Gysi müht sich redlich, ihn bei der sozialdemokratischen Ehre zu packen. Er rechnet vor, wie ungleich Vermögen und Einkommen verteilt sind. Aber Gabriel fingert an seinem Handy und verweigert ihm demonstrativ seine Aufmerksamkeit.

Anders SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Während der 25 Minuten Redezeit, die ihm zustehen, wird zumindest eines offenbar: Er ist noch dabei, seine Rolle zu finden. Bis zur Wahl war er Chefankläger gegen Merkels Politik. Jetzt sollte er sie irgendwie loben und doch einen eigenen Ton finden, damit die Sozialdemokraten nicht im Schatten der Kanzlerin verschwinden. An diesem Mittwoch ist Gysi Oppermanns bevorzugter Adressat. Es klingt befremdlich, was er ihm zu sagen hat. Er gratuliert ihm dazu, jetzt Oppositionsführer zu sein – auch wenn dies Gysis Wunsch widerspreche, die Linke in die Regierung zu führen. Dann folgen regelrechte Ratschläge an einen potenziellen Koalitionspartner: „Wenn Sie in diesem Haus Partner finden wollen“, sagt Oppermann, „klären Sie ihr Verhältnis zu Europa.“

„Masse macht noch lange nicht Klasse.“ Mit diesem Satz fasst Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter die Rede der Kanzlerin zusammen. Er habe ihr eine Stunde zugehört und nicht verstanden, was ihre Idee sei. Das Programm der großen Koalition nennt er „zukunftsvergessen und perspektivlos“. An Masse mangelt es jedenfalls nicht. Es folgen 17 Stunden und 18 Minuten Debatte, verteilt auf zweieinhalb Sitzungstage, während der sämtliche Minister Merkels Regierungserklärung fortführen. Ein solcher Marathon ist auch eine Machtdemonstration.