Applaus für Winfried Kretschmann im Landtag: Mit einer ergreifenden Rede stimmt der Ministerpräsident die Baden-Württemberger auf ein neues Kapitel in Europa und schwierige Zeiten ein. Dabei spricht er auch über die Geschichte seiner Familie.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat am Mittwochvormittag im Landtag unter Applaus eine Regierungserklärung abgegeben und Baden-Württemberg auf schwere Zeiten eingestimmt, aber auch Mut gemacht. Dabei benannte er Putins Aggression, der einen Angriffskrieg in der Ukraine führt, klar und schilderte auch Fluchterfahrungen seiner eigenen Familie nach dem Weltkrieg. „Bürgerinnen und Bürger der Ukraine, Baden-Württemberg steht an ihrer Seite“, sagte Kretschmann.

 

Doch der Krieg wirke über die Grenzen der Ukraine hinaus, „Putin greife unsere Art zu leben an. Er sprach von den Vertragswerken zur Friedensordnung in Europa, die allesamt „zerschossen“ seien, „Jahrzehnte lange Arbeit, die in Schutt und Asche gelegt wurde.“All diese Sätze waren von Applaus der Abgeordneten begleitet.

Kretschmann nannte die Flucht aus der Ukraine die „größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Den Bürgergeist, den Kretschmann jetzt wahrnehme, werde in den kommenden Monaten noch dringend gebraucht. „Es könnten mehr Flüchtlinge sein als 2015“, sagte Kretschmann.

Kretschmanns älterer Bruder auf der Flucht als Säugling gestorben

In diesem Zusammenhang erwähnte Kretschmann auch Teile seiner eigenen Familiengeschichte, über die er sonst selten spricht. Seine Eltern seien selbst nach dem Krieg auf der Flucht gewesen: „Meinen älteren Bruder habe ich nie kennengelernt, er ist als Säugling auf der Flucht gestorben.“ Es sei für ihn unerträglich, dass es jetzt in Europa wieder zu Flüchtlingsbewegungen mit solchen Folgen komme. Kretschmanns Familie war Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem ostpreußischen Ermland nach Baden-Württemberg gekommen.

Außerdem stellte Kretschmann klar, große Anstrengungen zu unternehmen, das Bildungsangebot in Baden-Württemberg stark für die Integration von Flüchtlingskindern aufzustellen – begonnen bereits in der Kita, wo Dolmetscher eingesetzt werden sollen. Ukrainischen Studierenden will er die Studiengebühren erlassen und so ermöglichen, Universitäten im Land besuchen zu können.

Weiter sagte Kretschmann, er wolle die Cyberabwehr im Land stärken: „Ich bedanke mich bei allen im Land, die sich Tag für Tag für die Cybersicherheit einsetzen.“ Das Innenministerium hatte zuvor vor verstärkten Cyberattacken aus Russland gewarnt.

Deutschlands Strategie gegenüber Russland gescheitert

Baden-Württemberg mache natürlich keine eigene Außenpolitik, dennoch werde das Land seinen Beitrag leisten. Vor allem mit Hilfsgütern wolle man die Ukraine auch vor Ort unterstützen – aber auch Geflüchtete hier im Land mit neuem Wohnraum.

Kretschmann erklärte die bisherige Strategie Deutschlands gegenüber Russland für gescheitert – die Abhängigkeit von russischem Gas und die fehlende Wehrhaftigkeit gegen Autokratien verlangten, dass sich die Politik auf vielen Feldern neu aufstellen müsse. „Europa muss sich selbst verteidigen können und Deutschland muss hier zusammen mit Frankreich eine Führungsrolle übernehmen“, sagte Kretschmann.

Wirtschaftlich will Kretschmann auf erneuerbare Energien setzen. Er wolle eine „dramatische Beschleunigung“, um die Energieversorgung langfristig zu sichern. Dabei rief Kretschmann auch zum Energiesparen auf. Die Energiefrage sei nicht länger nur eine Frage des Klimawandels, sondern jetzt auch eine Frage der nationalen Sicherheit.

Kretschmann mit Seitenhieb gegen die AfD

Demokratien, sagte Kretschmann, seien Autokratien überlegen. Er bewundere die Tapferkeit der Ukrainer, die sich hier gegen „einen übermächtigen Gegner“ wehren würden.

Zum Schluss schoss Kretschmann noch indirekt gegen die AfD. Er sagte, die Autokraten würden leider nicht nur in Moskau, sondern auch in Europa in den Parlamenten sitzen „und leider auch in diesem Landtag.“ Kretschmann sagte: „Sie befinden sich auf einem Irrweg!“ Freiheit und Demokratie seien stärker als Unterdrückung, Willkür und Gewalt.

Zur ganzen Rede im Landtag von Baden-Württemberg geht es hier.