Nach dem Sturz des Bürgerlichen Pedro Passos Coelho bereitet sich Portugals Linke auf die Regierungsübernahme vor. Sie will die Härten der Sparpolitik abmildern und dennoch die europäischen Haushaltsvorgaben erfüllen.
Lissabon - Für einen Portugiesen, der mit dem Mindestlohn von 505 Euro im Monat über die Runden kommt, sind 20 Euro viel Geld. Er wird sich über das Versprechen der linken Parteien freuen, die seinen Sozialversicherungsbeitrag zumindest vorübergehend von 11 auf 7 Prozent reduzieren wollen. Damit hat er monatlich gut 20 Euro mehr in der Tasche. Rund 1,1 Millionen Portugiesen werden nach Berechnungen der Sozialistischen Partei von dem Rabatt für alle Lohnempfänger mit weniger als 600 Euro im Monat profitieren.
Grummeln in Brüssel
Eine kleine soziale Wohltat für sehr viele arbeitende Arme. Kann sich Portugal das leisten? In vielen Büros in Frankfurt, Washington oder Brüssel wird angesichts solcher und weiterer geplanter Großzügigkeiten schon mal vorsichtshalber gegrummelt. Natürlich will sich offiziell niemand in die portugiesische Innenpolitik einmischen. Nur so viel: Es sei „wichtig“, dass Portugal „auf dem Weg der Reformen“ weitergehe, sagte am Mittwoch einer der Vizepräsidenten der EU-Kommission, der Lette Valdis Dombrovskis.
Reformen? Ja, die will Portugals Linke unbedingt umsetzen. Aber es sind vielleicht nicht die Reformen, die sich das marktliberale Brüssel vorstellt. Die Zusammenarbeit mit Lissabon dürfte demnächst ein wenig hakeliger werden. In Portugal ist geschehen, was sich noch vor einem Monat kaum jemand ausmalen konnte: Die linken Parteien im frisch gewählten Lissaboner Parlament haben am Dienstagabend die bürgerliche Regierung von Pedro Passos Coelho aus dem Amt gekegelt. Passos Coelho, Ministerpräsident während der vergangenen Legislaturperiode und überzeugter Austeritätspolitiker, hatte die Wahlen am 4. Oktober gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Weil der ideologische Graben zwischen den zweitplatzierten Sozialisten und den kleineren Kommunisten und dem Linksblock tief ist, rechnete im ersten Moment niemand mit einer linken Allianz, die den Bürgerlichen gefährlich werden könnte. Aber dann ist es doch geschehen: Mit 123 gegen 107 Stimmen erklärte die versammelte Opposition der erst elf Tage zuvor vereidigten Passos-Coelho-Regierung am Dienstag das Misstrauen.
Der Präsident ist an der Reihe
Nun ist wieder Republikpräsident Aníbal Cavaco Silva an der Reihe. Der hatte in den vergangenen Wochen keine besonders konstruktive Rolle gespielt. Er beharrte darauf, dem ihm ideologisch nahestehenden Passos Coelho den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. Dessen Bündnis habe einerseits die meisten Stimmen erhalten, und andererseits brauche Portugal eine Regierung, die die internationalen Verpflichtungen des Landes einhalte und Wachstum und Beschäftigung garantiere, argumentierte der Präsident, der selbst einmal konservativer portugiesischer Regierungschef war. Wobei er bewusst übersah, dass sich Sozialisten, Kommunisten und Linksblock längst zu Gesprächen trafen, um eine alternative linke Mehrheit auf die Beine zu stellen. Nach dem Misstrauensvotum vom Dienstag dürfte Cavaco Silva nun dem Sozialisten Costa die Regierungsbildung übertragen. Wenn er will, kann sich der Präsident allerdings noch querstellen. Im ungünstigsten Fall wird es Neuwahlen im Mai kommenden Jahres geben. Das mag sich aber im Moment niemand vorstellen.
Pedro Passos Coelho, der sich zugute hält, Portugal in den vergangenen vier Jahren aus der Krise geführt zu haben, bereitet sich nun auf seine neue Rolle als Führer der Opposition vor. Bisher kennen ihn die Portugiesen als besonnenen, kontrollierten Politiker. Er erinnere sich nicht daran, wann er zum letzten Mal wütend geworden sei, sagte er vor kurzem in einem Zeitungsinterview. An diesem Dienstag wurde er dann offenbar doch wütend. Als die linken Abgeordneten das Ergebnis des Misstrauensvotums beklatschten, verließ er für einige Minuten den Plenarsaal. Nach seiner Rückkehr redete er den Abstimmungssiegern ins Gewissen: „Die negative Mehrheit, die heute die Regierung stürzt, wird den Vereinbarungen des Parlaments unterliegen. Wer heute für den Fall der Regierung stimmt, besitzt keine Legitimität, um später Patriotismus oder Europafreundlichkeit einzufordern.“ Mit diesen Worten legte Passos Coelho den Finger in die Wunde des linken Bündnisses: Sozialisten, Kommunisten und Linksblock haben sich zwar auf eine Zusammenarbeit über die kommenden vier Jahre, aber nicht auf eine Koalition geeinigt.
Portugal hat eine Minderheitsregierung
Sozialistenchef Costa wird eine Minderheitsregierung führen. Den Rückhalt des Parlaments wird er sich immer wieder neu beschaffen müssen – ohne mit gelegentlicher Hilfestellung der Bürgerlichen rechnen zu können. Eine Herausforderung für Costa, wenn man die ideologischen Diskrepanzen zwischen den linken Parteien bedenkt. „Es wird nicht leicht sein, die Linke zu regieren“, gestand mit feinem Sinn für Ironie die Vorsitzende des Linksblocks, Catarina Martins, ein, „aber wir sind vorbereitet.“ Ihre eigene Partei und die Kommunisten haben auf ihre radikalsten Forderungen verzichtet: den Ausstieg aus dem Euro und das Verlassen der Nato. Sie haben sich mit einem Programm zufrieden gegeben, das die Härten der Austerität abmildern will, ohne den Austeritätskurs grundsätzlich in Frage zu stellen.
Er werde die europäischen Haushaltsvorgaben einhalten, hat António Costa immer wieder versprochen. Wobei er die Empfehlungen der EU-Kommission gerne „den konkreten Realitäten jedes Landes“ angepasst sähe. Mit anderen Worten: Er erhofft sich ein wenig mehr Großzügigkeit aus Brüssel. Soziale Wohltaten, wie bescheiden auch immer, kosten Geld. Im besten Fall kurbeln sie auch die Wirtschaft an. Davon will Portugals neue linke Regierung die europäischen Partner in den kommenden Wochen überzeugen.