Die Schulleiter werden ermuntert, nach den EM-Spielen Rücksicht auf müde Schüler zu nehmen. „Das machen wir sowieso“, kontern die Pädagogen.

Kreis Ludwigsburg - Der regelmäßig verbreitete „Infodienst Schulleitung“ ist meistens eine recht trockene Materie. Gestern hat der interne Newsletter des baden-württembergischen Kultusministeriums jedoch einen echten Heiterkeitserfolg erzielt. Denn vor den Halbfinalspielen der Fußball-EM ließ die Ministerialdirektorin Margret Ruep alle Schulleiter wissen, dass wegen langer Fernsehabende „mit entsprechender Müdigkeit im Unterricht zu rechnen“ sei. Die Lehrer mögen darauf Rücksicht nehmen, „etwa durch eine Verlegung des Unterrichts“.

 

Viele Schulleiter vermögen in der behördlichen Mitteilung nicht viel mehr zu erkennen als eine Lachnummer. Zum Beispiel Reiner Hohloch vom Mörike-Gymnasium in Ludwigsburg. „Ich bin sprachlos, dazu fällt mir nichts mehr ein. Ich halte diese Mitteilung für überflüssig.“ Lehrer wüssten schon selbst, wie man mit müden Schülern umzugehen habe. Auch Roland Kammerer, der Leiter der Grund-, Haupt- und Werkrealschule in Hemmingen, kann sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen: „Ja, sicher drücken wir ein Auge zu.“ Wenn ein Schüler verschlafe und zu spät komme, müsse er seinem Lehrer dafür dennoch eine Entschuldigung vorlegen.

„Purer Kindergarten für die Schulleiter“

Doch nicht alle Rektoren reagieren mit Humor auf die Mitteilung. Ein Schulleiter aus dem Kreis Ludwigsburg, der nicht namentlich genannt werden will, reagiert empört: „Das ist ja wohl der pure Kindergarten für Schulleiter.“ Er ärgere sich vor allem darüber, dass das Ministerium offenbar „nicht das Vertrauen hat, dass Lehrer richtig auf so eine Situation reagieren können“.

„Ich denke, dass dieser Ratschlag, vielleicht den Unterricht zu verlegen, etwas kurzfristig kommt“, sagt Gabriele Bullinger, die Rektorin der Justinus-Kerner-Werkrealschule in Ludwigsburg. Der Stundenplan am morgigen Freitag, nach dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Italien, könne nur noch mit großem Aufwand umgebaut werden. Und fairerweise müsse man das dann nach allen Spielen machen, vor allem als Schule mit einem höheren Ausländeranteil. „Ich habe keinerlei Interesse daran, den Unterricht ausfallen zu lassen oder zu verschieben“, sagt Hans-Joachim Sinnl, der Leiter des Friedrich-Abel-Gymnasiums in Vaihingen an der Enz. Er und sein Kollegium hätten genügend pädagogisches Fingerspitzengefühl, um völlig übermüdete Schüler nicht unnötig zu triezen. Allerdings finde er es „schon erstaunlich, mit welchen Details sich das Ministerium beschäftigt“. So viel Engagement wünsche er sich auch bei anderen Themen, etwa der Lehrerzuweisung.

„Man muss an den Schulen nicht stur weitermachen“

Bei Eltern findet der Vorstoß der obersten Schulbehörde offenbar mehr Anklang. „Ich finde das gut. Es fällt so viel Unterricht aus, und das aus viel schlechteren Gründen“, sagt Christine Knoß, die Elternbeiratsvorsitzende des Otto-Hahn-Gymnasiums in Ludwigsburg – immerhin eine Schule mit Sportzug. Man solle die Kinder, die so viel in der Schule ackern müssten, auch mal Spaß haben lassen, wenigstens alle zwei Jahre zu EM und WM.

Beim baden-württembergischen Kultusministerium vermag man die Aufregung einzelner Schulleiter nicht zu verstehen. Der amtliche Hinweis sei lediglich „als offizieller Hinweis gedacht, dass man Rücksicht nehmen sollte“, sagt Armin Kübler, der Pressereferent der Behörde. Gedacht sei die Rundmail speziell für die Halbfinals und das Finale am Sonntag. Für das ganze Turnier sei so etwas für die Schulen wohl nicht praktikabel. „Wir wollten darauf hinweisen, dass man an den Schulen nicht stur weitermachen muss, wenn es so ein Großereignis gibt“, sagt Kübler.

Kommentar: Ein verkopftes Eigentor

Ludwigsburg - Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint, meinte einst der gute Kurt Tucholsky. Den Wahrheitsgehalt dieses Sinnspruchs bekommt die nicht mehr ganz neue Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) jetzt zu spüren. Die Ministerin lässt ihre Behörde höchst amtlich mitteilen, dass die Schüler während der Fußball-EM reihenweise vor der Glotze versacken und am nächsten Morgen womöglich die halbe Schulzeit verpennen.

Besonders pädagogisch wertvoll ist der Hinweis an die Pädagogen, in solchen Fällen den Rohrstock stecken zu lassen und – Achtung, Bürgernähe! – darauf Rücksicht zu nehmen. Es soll vorkommen, dass Lehrkörper nicht genug Empathie aufbringen, um ihren Schülern einen Gähner nach durchwachter Elfmeterschießen-Nacht durchgehen zu lassen. Auch von Fußballglotzverboten ist zu hören. Aber bei derart hartherzigen Paukern hilft auch der Hinweis des Ministeriums nichts. Für all jene verständnisvollen, gutherzigen Lehrer – und wir hoffen, dass das die Mehrheit ist – kommt das Ganze wie eine böse Unterstellung rüber. Unterm Strich wirkt das Schreiben reichlich verkopft, wirklichkeitsfremd und ein bisschen wie ein Eigentor.