Eine der größten Krisenübungen der Region bleibt fast unsichtbar. Warum das kein Nachteil ist, sondern Teil der Strategie.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Von außen war kaum etwas zu sehen. Kein Blaulicht, keine Sirenen, keine Sandsäcke. Doch hinter verschlossenen Türen lief im Rems-Murr-Kreis und in benachbarten Regionen eine der größten Krisenmanagement-Übungen der vergangenen Jahre: In Besprechungsräumen, über Lagekarten und in Telefonkonferenzen wurde das Schlimmste gedacht – und durchgespielt.

 

Rund 300 Menschen, verteilt auf 22 Krisenstäbe, simulierten das, was in der Realität Chaos und Leid bringt: Hochwasser, ausgelöst durch tagelangen Starkregen, der die Rems, die Murr und den Neckar bedrohlich anschwellen lässt.

Ein Szenario aus der Wirklichkeit geboren

Dass ein solches Szenario nicht ausgedacht ist, zeigte der Juni vergangenen Jahres. In Schorndorf, Rudersberg und Umgebung standen ganze Straßenzüge unter Wasser. Zwei Menschen starben, Notstromaggregate liefen heiß, weil die reguläre Stromversorgung kollabierte. Warnsysteme versagten punktuell. Die Schäden: immens. Die Erfahrung: bitter – aber lehrreich.

Im Krisenstab im Landratsamt laufen die Fäden zusammen. Foto: Landratsamt Rems-Murr

„Wir haben das Live-Szenario im vergangenen Jahr erlebt, man kann solche Gefahrenlagen nie genug üben“, resümiert Landrat Richard Sigel nun nach der Übung. Die Kreisverwaltung habe den Katastrophenschutz längst zur strategischen Daueraufgabe gemacht, so Sigel. Und das bedeutet: üben, verbessern, vorbereiten. Immer wieder. Der Übungsschwerpunkt „Murr-Flut“ lag allerdings nicht auf dem physischen Einsatz, sondern auf der strategischen Planung: Wer informiert wann wen? Welche Warnmeldungen erreichen die Bevölkerung wie schnell? Wann wird evakuiert – und wer entscheidet?

Üben, bevor die Sirenen heulen

Wie das Regierungspräsidium erklärt, stand insbesondere die Koordination zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen im Mittelpunkt. Teilgenommen haben die Landratsämter Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr sowie deren Kommunen. Auch Innen- und Umweltministerium, Polizei, THW und Bundeswehr waren eingebunden.

Die Übung beginnt – so die Dramaturgie – noch vor dem eigentlichen Ereignis. Es wird angenommen, dass die Böden bereits gesättigt sind, die Pegel steigen, eine Warnung steht kurz bevor. Eine Eskalation ist wahrscheinlich. Jetzt zählt jede Minute, um Entscheidungen zu treffen, die Leben retten können.

Kein reines Planspiel: Konsequenzen folgen

Die Simulation endet nicht mit dem Schließen der Laptops. Die Übung wird ausgewertet – detailliert, kritisch, mit offenem Blick auf Schwächen. Denn: Fehler darf man sich im Ernstfall nicht leisten. „Schwachstellen zu erkennen, um sie beseitigen zu können, ist Sinn und Zweck der Übung“, so die Regierungspräsidentin Susanne Bay.

Und Schwachstellen gibt es – das hat nicht zuletzt das Flutsymposium im Herbst 2024 gezeigt. Dort wurden Defizite in Kommunikation, Koordination und Technik benannt. Die Übung „Murr-Flut“ ist eine Antwort auf diese Erkenntnisse.

Neue Strukturen, neue Technik, neue Verantwortung

Seit 2021 hat der Rems-Murr-Kreis seine Krisenstrukturen kontinuierlich überarbeitet. Acht Stabsübungen wurden durchgeführt, zuletzt im März 2025 mit einem Zugunglück samt Gefahrguttransport als Szenario. Und die Investitionen gehen weiter: Mit dem Spatenstich Anfang Mai hat in Waiblingen der Bau einer neuen Integrierten Leitstelle begonnen. In dem Gebäude sollen im Ernstfall Verwaltungsstab, Feuerwehr und Rettungsdienste gemeinsam agieren – kurze Wege, schnelle Entscheidungen.

Auch technisch rüstet der Kreis auf. Ein digitales Pegelmessnetz soll künftig automatisch Daten liefern, das Frühwarnsystem FLIWAS wird bereits geschult, Warn-Apps werden beworben. Und mit einem eigens produzierten Filmprojekt für Schulen und die Öffentlichkeit soll der Bevölkerung das Thema Katastrophenschutz nähergebracht werden – emotional, konkret, praktisch. Nach außen war die Flut-Übung kaum sichtbar. Doch genau darin liegt ihre Stärke: Eine Trockenübung für die Köpfe – und Strukturen, die im Ernstfall standhalten müssen.