Das regionale Bündnis für Straßenbauprojekte ist geplatzt. Die Reaktionen auf das Scheitern fallen sehr unterschiedlich aus. Der Kritik aus Stuttgart steht eine weitgehende Zustimmung von Regionalräten gegenüber.

Stuttgart - Das gescheiterte gemeinsame Vorgehen für regionale Verkehrsprojekte, über das die Stuttgarter Zeitung am Montag exklusiv berichtete, hat in der Region ein unterschiedliches Echo ausgelöst. Die Fraktionen in der Regionalversammlung unterstützen Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) und Regionaldirektorin Nicola Schelling, die eine Teilnahme an der Initiative mit der Industrie- und Handelskammer und den Landkreisen ablehnten, weil der Nordostring und die Filderauffahrt nicht in der Liste der vordringlichen Projekte aufgeführt sind. Dagegen gibt es – wie berichtet – in den Landkreisen und der Stadt Stuttgart Kritik. „Die Stadt Stuttgart bedauert, dass zum jetzigen Zeitpunkt diese umfassende gemeinsame Initiative nicht zustande gekommen ist“, sagte auf Anfrage Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), der auch Regionalrat seiner Partei und stellvertretender Regionalpräsident ist. Dies gibt der Situation eine pikante Note, vertritt er damit doch eine andere Position als Bopp – und seine Fraktion. Beide von der Region als prioritär eingestuften Straßenprojekte seien nicht mehr aktuell, heißt es im Rathaus der Landeshauptstadt.

 

Martin Körner: Regionalplan auf Höhe der Zeit bringen

„Die Region ist gut beraten, ihren Regionalplan auf die Höhe der Zeit zu bringen“, findet Martin Körner, der SPD-Fraktionschef im Rathaus. Nordostring und Filderauffahrt stünden „eben nun mal völlig unabhängig von der Parteipolitik weder bei der Wirtschaft noch beim Landes- oder Bundesverkehrsminister oben auf der Tagesordnung“. Die SPD-Ratsfraktion halte es für sinnvoll, „anstelle eines unrealistischen Nordostrings die zweite Brücke bei Remseck und anstelle einer unrealistischen Hedelfinger Filderauffahrt den Ausbau der Landesstraßen bei Festo voranzubringen“. Bekanntlich wird die Verbindung von der B 10 bei Esslingen über Esslingen-Berkheim bis hin zur Auffahrt auf die A 8 bei Neuhausen auf den Fildern ertüchtigt.

Grünen-Fraktionschef Peter Pätzold sagte, die Region sollte sich bei den Straßenprojekten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. In Stuttgart seien die Grünen von jeher gegen diese beiden Straßen gewesen. Die positiven Effekte der Projekte wären überschaubar.

FDP-Chef Matthias Oechsner kann „die Haltung der Region nicht nachvollziehen“. Zumal ein „geschlossenes Auftreten der Region und der Stadt nur von Nutzen sein kann“. Alle Wunschprojekte würden „so und so nicht zur Ausführung gelangen“.

Jürgen Zeeb hält Haltung der Region für nachvollziehbar

„Für die extrem belastete Verkehrssituation rund um Stuttgart wären die beiden nicht aufgenommenen Maßnahmen diejenigen, die einen wesentlichen Beitrag zur Verflüssigung des Verkehrs leisten könnten“, meint dagegen Jürgen Zeeb, Fraktionschef der Freien Wähler. Die Haltung der Region sei nachvollziehbar.

Der Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus ist es „gerade recht, wenn sich die Befürworter des Straßenbaus nicht einig sind und die Vorhaben platzen“, so Hannes Rockenbauch. Es gebe Stauprobleme, „weil es zu viele Autos gibt, nicht zu wenige Straßen“. Er plädiert für einen Rückbau und die Verlagerung auf den Öffentlichen Nahverkehr sowie den Radverkehr. So sieht es auch Christoph Ozasek von den Linken in der Regionalversammlung. „Wir freuen uns, dass das Bündnis geplatzt ist und damit das Bemühen, mehr Geld für den Straßenbau auszugeben.“ Mit dem Eintreten für die beiden „uralten Zombieprojekte“ verdeutliche die Region, dass bei ihr noch immer die Uhren für Straßenbau tickten und nicht für nachhaltige Mobilität.

Joachim Pfeiffer: „Die Beschlusslage ist klar“

Ganz anders ist die Stimmungslage bei den übrigen Fraktionen in der Regionalversammlung. CDU, Freie Wähler und FDP, die die beiden Projekte befürworten, aber auch SPD und Grüne, die sie ablehnen, betonen, dass Bopp und Schelling gar nicht anders konnten, als sich für den Nordostring und die Filderauffahrt einzusetzen. „Die Beschlusslage ist klar“, sagt der CDU-Fraktionschef Joachim Pfeiffer. „Beide Infrastrukturprojekte sind für die Region zentral.“ So sieht es auch Bernhard Maier von den Freien Wählern. „Die Trassen sind im Regionalverkehrsplan enthalten. Die Spitze der Region kann diese Prioritäten nicht einseitig verändern“, sagt er. Armin Serwani (FDP) meint: „Es hätte einen Aufstand gegeben, wenn sie anders agiert hätte.“

Alle drei Befürworter befürchten keine negativen Auswirkungen, weil das Bündnis geplatzt ist. „Der Schaden ist nicht so groß“, sagt Maier, „diese gemeinsamen Aktionen bringen nicht so viel.“ Noch deutlicher wird der Bundestagsabgeordnete Pfeiffer. Die Prioritätenliste des Landes, die nun von den Landräten und der IHK unterstützt werde, enthalte nicht alle wichtigen Infrastrukturprojekte und werde im Bundesministerium kritisch gesehen. „Der Flurschaden ist eher umgekehrt“, sagt Pfeiffer, „die Landräte und die IHK haben sich vor den Karren von Minister Hermann spannen lassen – und diese Einigkeit auf fragwürdiger Basis nützt nichts in Berlin.“

Kritik: Pläne von Bund und Land werden ignoriert

Auch die regionalen Gegner der beiden Straßenbauprojekte attestieren Bopp und Schelling ein korrektes Verhalten. „Es entspricht demokratischem Vorgehen, wenn Beschlüsse einer Mehrheit vertreten werden, egal ob sie uns passen“, sagt Eva Mannhardt von den Grünen. Der Regionalpräsident habe gar nicht anders agieren können. Der SPD-Fraktionschef Harald Raß stellt das Vorgehen Bopps nicht in Frage, wirft den Befürwortern aber durchaus vor, den Generalverkehrsplan des Landes und den Bundesverkehrswegeplan des Bundes, in dem beide Projekte nicht enthalten seien, zu ignorieren. „Man hätte die Türe nicht zuschlagen und miteinander reden sollen.“

„Das ist ein ganz schlechtes Ergebnis“, sagt auch der Oberbürgermeister von Vaihingen/Enz und Regionalrat Gerd Maisch (Freie Wähler). Er hätte sich von einem gemeinsamen Auftreten in Berlin für die B-10-Umfahrung des Vaihinger Stadtteils Enzweihingen einen Schub erhofft. Es sei schwer nachzuvollziehen, „warum es nicht möglich war, eine gemeinsame Formulierung zu finden, um auszudrücken, dass die Region mehr will, auch den Nordostring“.

Zwei umstrittene Strassenbauprojekte

Filderauffahrt
Die Debatte über eine Verbindung von der B 10 im Neckartal auf die Filder und die A 8 ist schon mehr als 30 Jahre alt. Diese Verbindung soll die Innenstadt von Stuttgart entlasten, durch die derzeit der Verkehr auf der B 27 und der B 14 rollt. Ursprünglich als B 312 geplant, sollte die Verbindung durch Tunnel unter den Stuttgarter Stadtteilen Hedelfingen, Heumaden und Riedenberg zur Mittleren Filderlinie führen. Diese Pläne ließen sich aber jahrelang nicht realisieren. In den Jahren von 2005 an gab es einen neuen Vorstoß, bei dem verschiedene Trassen unter Einbeziehung bestehender Straßen weiter östlich untersucht wurden. Sie starteten zwischen Hedelfingen und Oberesslingen an der B 10 und endeten an der A 8 zwischen Plieningen und Neuhausen. Dabei kristallisierte sich eine Variante heraus, die von der Anschlussstelle Hafen-Süd im Tunnel bis zur Abendeck-Kreuzung zwischen Ruit und Heumaden und von dort an Kemnat und Scharnhausen vorbei zur A 8 geführt wird. Konkret wurde dies aber nicht.

Nordostring
Eine ähnlich lange Planungsgeschichte hat der Nordostring als Verbindung zwischen der B 27 bei Kornwestheim und der B 14 bei Waiblingen. Er sollte die Remsecker Ortsmitte mit der stauanfällige Neckarbrücke entlasten. Weil der Bau über das Schmidener Feld in Fellbach und Stuttgart auf Ablehnung stieß, wurde das Projekt zunächst von vier auf zwei Spuren abgespeckt. Aber die Proteste gegen die nach dem damaligen Regierungspräsidenten benannte Andriof-Brücke hielten an. Die grün-rote Landesregierung beendete dann das von Remseck und Waiblingen unterstützte Projekt offiziell. Nun wird auf Anregung des grünen Verkehrsministers Winfried Hermann eine (bisher) allseits akzeptierte Westrandbrücke untersucht.