Christopher Nolans neuer Film „Tenet“ läuft in den Kinos an. Im Interview erzählt der Regisseur, was ihn zu dem Spionagethriller gebracht und inspiriert hat.

Los Angeles - An diesem Mittwoch startet in Deutschland und vielen anderen Ländern Christopher Nolans Thriller „Tenet“ (unsere Kritik erschien am 22. August). Der Film soll als erste Großproduktion, die seit März im Kino zu sehen ist, möglichst große Massen anlocken und quasi im Alleingang eine ganze Branche retten. Viel Druck für einen Filmemacher, weswegen Nolan im Interview nur noch über eines sprechen möchte: seinen Film.

 

Mr. Nolan, Ihr neuer Film „Tenet“ erzählt wieder einmal eine nicht unbedingt einfach zu verstehende Geschichte voller faszinierender Ideen und Bilder. Wo liegt der Ursprung dieses Projekts? Gab es einen allerersten Gedanken, mit dem alles begann?

Es gibt in „Tenet“ verschiedene Bilder und auch Geräte oder Erfindungen, über die ich schon sehr lange nachdenke. Teilweise seit Jahrzehnten. Wer meine bisherige Arbeit kennt, wird im Film auch einiges entdecken, mit dem ich schon früher herumexperimentiert habe. Etwa die Pistolenkugel, die aus der Wunde wieder austritt und zurück in die Waffe fliegt. Dieses Bild habe ich damals schon in „Memento“ verwendet, eher metaphorisch. In „Tenet“ haben wir es quasi ganz konkret und buchstäblich in die Geschichte integriert. Sie sehen also: mit vielen dieser Ideen bin ich schon sehr lange beschäftigt.

Aber Sie hatten nicht schon vor 20 Jahren die Idee zu „Tenet“, oder?

Nein, an diesem ganz konkreten Drehbuch und der Idee, einen Spionage-Thriller als Vehikel zu nehmen, um das Publikum auf eine Reise durch all diese bizarren Konzepte von Zeit mitzunehmen, habe ich sechs oder sieben Jahre gearbeitet. Auf jeden Fall auch eine ganze Weile.

Führen Sie doch das Konzept noch ein wenig aus. Woran haben Sie da so lange getüftelt?

Ich musste einfach Wege finden, diesem ganz speziellen Genre treu zu bleiben und gleichzeitig eine Geschichte so zu konstruieren, dass ich all diese Ideen rund um das Thema Zeit und die Manipulation von Zeit integrieren kann. Einerseits musste ich all diese Konzepte erklären und zugänglich machen, andererseits aber auch sicherstellen, dass die Zuschauer einfach Spaß haben an einem letztlich klassischen Spionage-Abenteuer, bei dem sie dem Protagonisten rund um die Welt durch all diese spektakulären Action-Szenen folgen können.

Bleiben wir kurz beim Thema Zeit. Gibt es da irgendwelche Denker und Philosophen, die Sie in dieser Hinsicht besonders inspirieren?

Enorm viele natürlich, schließlich beschäftigten sich viele große Geister, die sehr viel klüger sind als ich, schon sehr lange mit dem Thema. Konkrete Inspirationen sind für mich allerdings häufig visueller Art, und nicht zuletzt für „Tenet“ war ganz konkret M.C. Escher für mich von großer Bedeutung. All die unglaublichen Drucke mit den unendlichen Treppen, inspiriert von der Penrose-Treppe. Wenn ich schreibe, versuche ich, die verschiedenen Richtungen der Zeit genau aufzuzeichnen und zu überlegen, wie sie ineinander fallen oder sich überlappen könnten. Dafür waren M.C. Eschers Bilder enorm anregend für mich, mehr als alles andere.

Und was den Spionage-Aspekt angeht, hatten Sie da auch Vorbilder?

Der allererste James-Bond-Film, den ich früher im Kino gesehen habe, war „Der Spion, der mich liebte“ mit Roger Moore. Das ist bis heute einer meiner Lieblingsfilme, und ich versuche, ihn nicht zu oft zu sehen. Aber neulich habe ich ihn selbst meinen Kindern gezeigt – und war sofort wieder mitten drin in meinen ganz frühen Erfahrungen von damals. Ich muss sieben Jahre alt gewesen sein, als mein Vater mich damals mit ins Kino nahm. Ein umwerfendes Erlebnis, mit einem Gefühl unendlicher Möglichkeiten, so als könne ich durch diese Leinwand springen und auf der ganzen Welt die unglaublichsten Dinge erleben. Dieser Film hatte eine solche Größe und so viele Möglichkeiten, das war reinster Eskapismus. Außerdem gab es natürlich die nicht zu verachtende Fantasie-Komponente, mit einem Auto, das sich in ein U-Boot verwandelt und solchen Dingen. Letztlich habe ich meine gesamte Karriere lang versucht, diese Emotionen wieder herzustellen und mein Publikum darüber staunen zu lassen, was Filme alles machen und wohin sie einen mitnehmen können.

„Tenet“ spielt tatsächlich rund um die Welt, etwa in Norwegen, Mumbai oder im Mittelmeer. Warum waren diese weltumspannenden Locations für Sie so wichtig?

Wenn man Unterhaltung dieser Größenordnung auf die Kinoleinwand bringen will, kommt man schnell an seine Grenzen, wenn es darum geht, was man alles bauen oder sich ausdenken kann. Die echte Welt ist so riesig und so außergewöhnlich, dass sie viel mehr zu bieten hat und eigentlich gar nicht zu übertreffen ist in ihren Möglichkeiten. Deswegen ist es immer fantastisch, an realen Orten zu drehen. Dass ich im Fall von „Tenet“ rund um den Globus gereist bin, war allerdings konkret in zweierlei Hinsicht für den Film von Vorteil.

Nämlich?

Einerseits ist das Teil des besagten Eskapismus. Wir bieten dem Publikum die Möglichkeit, ins Kino zu gehen und mal glamouröse, mal gefährliche Orte zu sehen, an die sie in ihrem gewöhnlichen Alltag womöglich nie kommen werden. Andererseits verleihen wir dem Film aber eben auch eine greifbare Größe und Dimension. In „Tenet“ ist, wie es sich für einen solchen Spionage-Film gehört, die ganze Welt in Gefahr. Je mehr ich also von der Welt und ihren Bewohnern zeige, desto greifbarer wird für das Publikum, was hier auf dem Spiel steht. Dass also die Bedrohung nicht nur eine regionale ist, sondern für uns alle gilt.

Zum Abschluss vielleicht noch ein paar Worte zu einem weiteren wichtigen Element Ihres Films: dem Sound und der Musik!

Beides ist für mich nicht von einander zu trennen, deswegen haben mein Komponist Ludwig Göransson und mein Sounddesigner Richard King von Anfang an Hand in Hand gearbeitet. Die Musik musste sich quasi in den Rest des Sounds integrieren, weswegen besonders gut war, dass Ludwig kein bisschen auf bewährte Elemente und Klänge setzte, sondern alles aus dem Nichts heraus schaffen wollte, was man vorher noch nie gehört hat. Natürlich wiederholen sich gewisse Motive und sorgt auch in „Tenet“ die Musik für Spannung oder Emotionalität. Aber sie ist nicht manipulierend über die Geschichte gelegt, sondern eingebettet in den Sound, ja in die DNA des Films.