Engen Sie die festen Strukturen der Musik, etwa in den Arien, ein?
Man macht Zugeständnisse, und die Arien sind das, was den Sängern Spaß macht. Auch für mich sind Musik und Gesang in der Oper das Dominante. Entscheidend ist, dass der Kontext die Wirklichkeit widerspiegelt, dass er also wahr ist und dass die Szene nicht die Lügen der Arie inhaltlich-ideologisch reproduziert. Aber die Schönheit ist immer da, sie betört uns selbst in Situationen des totalen Elends. Früher hätte ich vieles in der Oper radikal streichen wollen, aber momentan macht mir der Umgang mit dem Widerständigen der Musik Spaß.
Vor einem brutalen Frank Castorf hat man sich auch in Bayreuth gefürchtet, als Sie dort 2014 den „Ring des Nibelungen“ inszenierten . . .
Ja, das war die einzige Bitte der Festspielleitung und des Dirigenten Kirill Petrenko: dass ich Libretto und Partitur nicht verändere. Das habe ich akzeptiert – und mich trotzdem nicht nur als szenischer Arrangeur gefühlt, als Choreograf.
Sie haben auf dem Grünen Hügel schon mit Aleksandar Denić zusammengearbeitet, der ja sehr starke Bilder erfindet. Welche Rolle spielt sein Bühnenbild jetzt in Stuttgart?
Man unterhält sich, und je weniger man redet, desto besser kommuniziert man. Und dann gelingt vielleicht so etwas Ähnliches wie Kunst. Wobei die Konstellation in Bayreuth schon merkwürdig war: Eine schwarze Brasilianerin entwarf die Kostüme, ein Serbe das Bühnenbild, und ein Ostdeutscher hat dann das Schöne kaputt gemacht. Alles Außenseiter, überhaupt nicht repräsentativ für bundesdeutsche Normalität. Denić kommt vom Film, es geht ihm also um eine Widerspiegelung der Wirklichkeit mit Mitteln der Kunst. Das Bühnenbild von Faust ist französisch, veristisch; eine Drehscheibe mit Boulevards.
Ist die Arbeit mit Sängern anders als mit Schauspielern?’
Meine Erfahrung ist, dass die meisten Sänger gerne ein Teil dessen werden wollen, was Schauspielkunst ist – also dessen, was viele Schauspieler heute selbst nicht mehr kennen. Im Fernsehen erlebt man ja leider, dass die Fähigkeit, etwas reproduzieren zu können, schon als etwas Besonderes angesehen wird. Ein Regisseur muss konkrete Situationen schaffen. Und er muss Darstellern helfen, den besonderen Ausdruck in einer extremen Situation zu finden, und diese Besonderheit muss einen sprachlichen und musikalischen Ausdruck haben. Wobei das Besondere in der Oper meistens auf sehr sinnfällige Art in der Partitur notiert ist.
Auch bei Gounod?
Ja, das ist hier sogar richtig betörend. Und je stärker man schon den Offenbach hinter diesen Klängen ahnt, das „Pariser Leben“, je schwerer also die Lüge der Wirklichkeit zu durchschauen ist, desto mehr Spaß bereitet mir so ein Stück. Die Oberfläche, die Patina ist in dieser „Faust“-Oper ungeheuer anziehend, die Musik ist sehr süffig, und genau das gefällt mir daran.
Wo inszenieren Sie Ihre nächste Oper?
Das wird Janáceks „Aus einem Totenhaus“ an der Bayerischen Staatsoper München sein. Auch das ist ein Auftrag. Wenn Menschen, die intelligent sind und denen man vertraut, sagen, es würde uns interessieren, wenn du das in unserem Haus mal ganz anders anschaust, dann nehme ich den Auftrag an.
Und Offenbach? Das wäre ein konsequenter weiterer Schritt.
Ja, ja . . . Aber das würde dann doch wieder sehr, sehr schwer. Weil man auch dort das andere erst einmal finden muss.

Das Gespräch führte Susanne Benda