Der Regisseur Franz Böhm arbeitet nach dem Dokumentarfilm Dear Future Children über junge Aktivisten an einem Film über die Uiguren. Im Interview spricht er erstmals darüber, wie er zum Thema kam – und warum die internationale Plattform für die Protagonisten so wichtig ist.

Nach seinem erfolgreichen Langfilm-Debüt „Dear Future Children“ erzählt der Gerlinger Regisseur Franz Böhm jetzt eine nicht weniger politische Geschichte. Im Mittelpunkt stehen das Volk der Uiguren und zwei Frauen. Im Interview spricht Böhm erstmals über den Film, mit dem Arbeitstitel „Keep Her Quiet“.

 

Herr Böhm, werden Sie und Ihr Team noch - oder schon wieder - bedroht?

In unserem letzten Projekt „Dear Future Children“ erzählen wir unter anderem die Geschichte einer jungen Demokratie-Aktivistin aus Hongkong. Das Projekt hat sehr viele Menschen erreicht, was auch zu vereinzelten Angriffen von chinesisch-extremistischen Personen geführt hat. Wir sind uns der Risiken bewusst und haben uns früh entsprechend vorbereitet, um die Auswirkungen zu minimieren.

Inwiefern?

Wir arbeiten weiterhin eng mit Experten zusammen, die sich auf Verteidigung und Gegenmaßnahmen spezialisiert haben. Für uns ist klar, dass solch extremistische Aktionen unsere Projekte nicht beeinflussen werden.

Ihr neuer Film ist nicht minder brisant?

Bei unserem neuen Projekt mit dem Arbeitstitel „Keep Her Quiet“ handelt es sich um einen Journalismus-Thriller von geopolitischem Ausmaß. Wir erzählen dabei die Geschichte einer uigurischen Journalistin, die alles riskiert, um die Wahrheit über das Verschwinden ihres Volkes im Westen Chinas zu offenbaren. Gleichzeitig verfolgen wir die Flucht einer jungen Frau aus einem modernen Internierungslager. Die beiden zusammenhängenden Geschichten basieren auf den wahren und aktuellen Geschichten der Beteiligten, welche auch maßgeblich am Drehbuch mitwirken.

Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

Im August 2019 waren mein Team und ich in Hongkong, um unser Dokumentarfilmprojekt „Dear Future Children“ zu drehen. Zu dieser Zeit standen wir in engem Kontakt mit vielen Journalisten und Journalistinnen, die über die chinesische Politik und die dortigen Ereignisse berichteten. Während wir an der sogenannten Frontline der Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong filmten, erzählten uns viele von ihnen, dass sie an etwas arbeiteten, was sie als die schrecklichste Geschichte bezeichneten, über die sie bisher berichtet hatten. Als ich zwei Tage später die Zeitung aufschlug, konnte ich nicht glauben, was ich las.

Nämlich?

Der Artikel beschrieb in unerträglicher Detailliertheit die systematische Unterdrückung der Uiguren in der nordwestchinesischen Region Xinjiang und zu meinem absoluten Entsetzen die Tatsache, dass dort Lager gebaut wurden, um Minderheiten „umzuerziehen“. Viele Journalisten und Journalistinnen sagten mir, dass all diese Berichte vor allem durch die Arbeit zweier mutiger Frauen möglich waren.

Handelt es sich dabei um eben jene Frauen, deren Geschichte Sie im Film erzählen?

Ja.

Was treibt die Protagonisten an, Ihre Geschichten zu erzählen, sich also in Gefahr zu begeben?

Mit mehr als einer Million Uigurinnen und Uiguren in Internierungslagern ist ihr eigenes Volk unter Beschuss. Die Protagonistinnen des Films sowie deren Familien waren bereits oder sind noch immer in größter Gefahr. Ihre jeweiligen Leben sind durchzogen von außerordentlichen Opfern und dramatischen Verlusten. An dem Punkt, an welchem die Personen aktuell im Leben stehen, empfinden sie es als das bestmögliche und hilfreichste, diesen Geschichten eine internationale und laute Plattform zu verschaffen. Es geht nicht mehr darum, sich in Gefahr zu begeben, sondern andere aus der Gefahr zu befreien.

War die Motivation der Protagonisten in „Dear Future Children“ dieselbe?

Die Motivationen der Personen sind in allen Fällen verschieden. Im Dokumentarfilm „Dear Future Children“ begleiten wir drei junge Frauen aus Hongkong, Uganda und Chile bei ihrem Kampf für eine bessere Zukunft. Dabei konnten wir eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Beweggründen kennenlernen. Obwohl alle diese Gründe letztendlich unter dem gemeinsamen Ziel des Engagements für eine bessere Zukunft zusammengefasst werden können, handelt es sich dabei um sehr individuelle und persönliche Themen. Der Begriff Aktivismus lässt sich außerdem nur schwer eingrenzen. In „Keep Her Quiet“ sind unsere Protagonistinnen vor allem journalistisch tätig.

Ihr Langfilmdebüt räumte bei Festivals ab. Was war für Sie der wichtigste Preis?

Preise zu gewinnen ist selbstverständlich immer schön und häufig sehr hilfreich, um die Sichtbarkeit des Films zu erhöhen. Natürlich war es für unser Team eine unglaubliche Ehre, den deutschen Dokumentarfilmpreis zu gewinnen, und wir haben uns über jede Auszeichnung sehr gefreut. Trotzdem möchte ich betonen, dass eine funktionierende, effiziente Teamarbeit und eine gelungene Zusammenarbeit mit Verleihern und Kinos für uns immer wichtiger sein wird. Die größte Anerkennung für uns war, dass der Film international in Kinos gezeigt wurde und Menschen erreicht hat.

Im Kontext von „Dear Future Children“ kündigten Sie an, das junge Kino voranbringen zu wollen. Gilt das nach wie vor?

Für unser Team ist das Ziel ganz klar: Wir möchten zeigen, dass junges Kino erfolgreich und höchstrelevant zugleich sein kann. Dafür werden wir sehr hart arbeiten. Wir sind davon überzeugt, dass das Kino ein spannender Ort ist, um wichtige Geschichten zu erleben.

Wie geht es Ihnen heute, zwischen Attacke und Applaus?

Sehr gut, vielen Dank. Es ist ein Privileg, von so einem talentierten Team und tollen Partnern umgeben zu sein, und ich freue mich auf die nächsten Arbeitsschritte. Es ist toll, mit Suli Kurban und Samuel Gheist am Drehbuch zu feilen. Produzent Johannes Schubert und ich freuen uns weiterhin über spannendes Interesse weltweit.