Der amerikanische Dokumentarfilmer Morgan Spurlock hat sich als erster Prominenter in der aktuellen Debatte selbst als sexuell übergriffig geoutet. Aber nun muss der „Super Size Me“-Regisseur genau so harte Konsequenzen wie die anderen tragen.

Stuttgart - Es war kein Jahr wie jedes andere im Film- und Mediengeschäft. Die auf glanzvolle Außendarstellung bedachte Branche wurde in einer Folge von Enthüllungsberichten und Vorwurfskaskaden von ihrer hässlichsten Seite gezeigt: als Sumpf der sexuellen Übergriffe und erniedrigenden Machtspiele. Und weil es diesmal nicht bei Skandalmeldungen bleibt, weil Produktionspartner, Sender, Studios sofort die Zusammenarbeit mit Beschuldigten beenden, weil die #metoo-Bewegung das Problem als gesamtgesellschaftliches kenntlich macht, hoffen viele nun auf nachhaltige Änderungen.

 

Für einen bilanzierenden Rückblick ist es noch viel zu früh. Auffällig aber ist schon jetzt: Prominente Männer haben sich allenfalls dann zerknirscht gezeigt über angebliche oder tatsächliche „Missverständnisse“ und „Ungeschicklichkeiten“, wenn sie öffentlich angeprangert wurden. Darum ist der Fall des Regisseurs Morgan Spurlock so besonders – und wirft so viele Fragen auf.

Ein Profi des Selbstversuchs

Morgan Spurlock, Jahrgang 1970, ist kein Powerplayer Hollywoods, aber auch kein Unbekannter aus dem elften Glied. Er gehört zu jenen Dokumentarfilmern, die von Michael Moore („Bowling for Columbine“) gelernt haben, dass Polemik, Schabernack und ein wenig Mogelei aus vermeintlich trockenen Themen Erfolgsstoffe machen können. Und dass ein Dokumentarfilmer Starpotenzial hat, wenn er nur dreist genug selbst vor die Kamera tritt. Bekannt geworden ist Spurlock 2004 mit dem Selbstversuchsfilm „Super Size Me“, für den er sich unter ärztlicher Aufsicht nur noch von Fastfood-Menüs aus der Burgerkette nebenan ernährte.

Dieser Morgan Spurlock hat sich nun selbst geoutet, am 14. Dezember via Twitter. „Ich bin Teil des Problems“ schrieb er, und beschwor eine krimihafte Stimmung: Er verfolge in den Medien, wie seine früheren Helden stürzten und frage sich: „Wann kommen sie, um mich zu holen?“ Danach schilderte er mehrere Vorfälle, deren Tragweite ihm erst später klar wurde. Zu Schulzeiten hatte eine Freundin erst keinen Sex gewollt, sich dann gefügt – das Ganze danach aber als Vergewaltigung empfunden. Angezeigt hat sie Spurlock nicht. Eine junge Assistentin in Spurlocks Produktionsfirma dagegen, die sich an der Anrede „Sex Pants“ und „Hot Pants“ störte, konfrontierte ihn anlässlich ihrer Kündigung mit einer Geldforderung – andernfalls werde sie den Vorgang öffentlich machen. Spurlock gibt an, bezahlt zu haben, „um der bleiben zu können, der ich war“, wie er selbst sein Motiv ins schlechteste Licht stellt.

Gewissen oder Projekt?

Waren das noch öffentlichkeitsrelevante Vorgänge, die man strafrechtlicher Klärung hätte zuführen können, schwenkte Spurlock danach in eine ganz und gar private Beichte um: Er sei jeder Frau und Freundin, die er je gehabt habe, untreu gewesen. Aus der Offenlegung von Grenzüberschreitungen wurde so eine Generalanklage des männlichen Gemüts. Für die Beichte aus freien Stücken aber hat Spurlock nun die gleichen Folgen zu tragen wie jene, die Vorwürfe leugnen oder kleinreden. Er hat seinen Stuhl in der von ihm mitgegründeten Produktionsfirma geräumt. Bei dem von ihm mitproduzierten Film „The Devil we know“, der im Wettbewerb von Sundance laufen soll, wird jeder Hinweis auf seine Beteiligung gelöscht. Und der Streaming-Dienst Youtube Red hat den Ankauf von „Super Size Me 2“, bis dato der größte Erwerb des Netz-Senders, wieder annulliert.

Spurlocks Aktion soll für Ratlosigkeit in seinem Umfeld gesorgt haben, aber auch für sofortiges Abrücken, berichtet die amerikanische Branchenpresse. Bisher hat der erste bekannte Selbstankläger in der „metoo“-Welle seine Motive nicht näher erläutert. So bleibt angesichts des erstaunlichen Vorgangs die Frage, ob hier einer von einem unruhigeren Gewissen als andere gequält wird. Oder ob Morgan Spurlock sich wieder auf einen filmreifen Selbstversuch begeben hat: diesmal nicht über das Leben mit miesem Essen, sondern über das Zurechtkommen mit dem radikalen Laufbahnknick.