Frau Aboyan, zwei neue Kinofilme und ein Stuttgart-„Tatort“ sind entstanden seitdem wir anlässlich Ihres Films „Elaha“ im letzten Frühjahr zuletzt gesprochen haben. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man sagt, es läuft gerade richtig gut bei Ihnen.
Ich habe viel Glück gehabt, aber auch schon während meines Studiums sehr viel vorgearbeitet, weil ich wusste, wie lange es dauert, bis ein Film finanziert ist. Vieles wäre so nicht möglich gewesen, wenn ich nicht mehrere Dinge gleichzeitig gemacht hätte. Das Drehbuch zu „Wovon sollen wir träumen“, der Ende des Jahres ins Kino kommen soll, ist zum Beispiel noch während meines Studiums in Ludwigsburg in Zusammenarbeit mit Constantin Hatz entstanden.
Wie kam es zum Stuttgart-„Tatort“?
Nach „Elaha“ habe ich die Anfrage bekommen und konnte es kaum glauben – ein „Tatort“! Ich habe sofort zugesagt. Es ging alles sehr schnell. Ich hatte natürlich Bedenken, weil ich frisch von der Hochschule kam. Aber das Thema – Einsamkeit unter jungen Menschen und die Erzählweise mit Rückblenden haben mich sofort interessiert.
Wie war es einen „Tatort“ zu drehen?
Es war mein erstes Mal, in einem so großen und eingespielten Team zu arbeiten – und dann auch noch bei einem Format, das es schon so lange gibt. Das war sehr neu für mich. Aber die Kolleg*innen, auch die Schauspieler Richy Müller und Felix Klare, waren sehr nett und haben es mir leicht gemacht.
Hatten Sie freie Hand?
Es war das erste Mal, dass ich ein Buch verfilmt habe, das nicht von mir stammt. Natürlich war einiges vorgegeben. Aber ich hatte den Eindruck, dass man mir zugehört hat und auch Anpassungen möglich waren, wenn ich sie mir gewünscht habe. Es gab nur wenige Drehtage, aber durch das erfahrene Team war es eine intensive Zeit. Ich würde es jederzeit wieder machen. Irgendwie lande ich immer in Stuttgart. Direkt danach ging es aber erst mal nach Hamburg, wo ich in Co-Regie mit Constantin Hatz „Wovon sollen wir träumen“ realisiert habe.
Dann kam direkt „Drei Kameradinnen“?
Genau. Der Film basiert auf dem Roman von Shida Bazyar, der 2021 erschienen ist. Ich wurde für die Verfilmung angefragt und kannte das Buch bereits und so bin ich, ganz unabsichtlich, wieder in Stuttgart gelandet.
Um was geht es?
Es geht um drei junge Frauen, ihre Kindheit, Jugend, ihr gemeinsames Aufwachsen in einer Siedlung. Das fand ich sehr spannend. Im Zentrum steht die Freundschaft. Die drei Freundinnen sind ständig mit Ausgrenzung und Armut konfrontiert. Themen, die mich auch persönlich sehr beschäftigen. Deshalb habe ich zugesagt.
Auch „Wovon sollen wir träumen“ handelt von drei Frauen.
Ja: Laura, eine junge Frau im offenen Vollzug, die eine schwere Straftat begangen hat, Julia, eine Polizistin, die häusliche Gewalt erlebt und Evin, kurdische Freiheitskämpferin, die in Deutschland lebt und mit der Migrationspolitik nicht zurechtkommt. Es geht um Kriege im großen Kontext, aber auch um Kriege innerhalb der Familie.
Stecken auch persönliche Aspekte von Ihnen in den Protagonistinnen?
Mir war die kurdische Freiheitskämpferin sehr nah. Und es sind Szenen dabei, die ich selbst erlebt habe.
Welche?
Zum Beispiel das Leben in einem Geflüchtetenheim. Ich habe mich dort mit einer Frau angefreundet, die mir Ohrlöcher gestochen hat, die habe ich bis heute. Im Film gibt es eine Abschiebungsszene, die ich sehr ähnlich selbst erlebt habe. So etwas vergisst man nicht. Das im Kino zu erzählen und in eine universelle Geschichte überführen zu können, hat für mich etwas Heilendes.
Schwere Stoffe. Und es gibt Parallelen zu „Elaha“ – wieder geht es um Frauen, die Schwierigkeiten haben, sich in ihrem Umfeld wohlzufühlen.
Ja, wobei es bei „Elaha“ eher um sexuelle Unterdrückung und die gesellschaftliche Bedeutung von Jungfräulichkeit ging und um die familiären Konflikte, die daraus entstehen. Bei „Wovon sollen wir träumen“ wollte ich mich auch formal als Filmemacherin weiterentwickeln. Es ist ein Episodenfilm, langsam erzählt. „Drei Kameradinnen“ wiederum ist sehr schnell, fast wie ein Rausch. Das ist das Spannende für mich: verschiedene filmische Formen auszuprobieren, ich möchte keine feste Handschrift als Filmemacherin entwickeln, sondern viele.
Doch eines zieht es sich wie ein roter Faden durch: Vielfach haben Sie die Hauptrollen („Elaha“, „Tatort“, „Drei Kameradinnen“, „Wovon sollen wir träumen“) mit der gleichen Schauspielerin, Bayan Layla, besetzt.
Ja, sie ist toll. Man wird mit den Jahren zu einer Filmfamilie. Bayan ist immer sehr gut vorbereitet, sie kennt ihren Text und den der anderen. Sie achtet auf alles, ist extrem aufmerksam, konzentriert, denkt mit und stellt kritische Fragen. Intensive Szenen müssen wir mit ihr kaum mehrfach drehen, weil sie sich so gut vorbereitet hat, dass es sitzt. Das ist für mich als Filmemacherin natürlich super, weil sie alles gibt. Man schaut ihr zu und denkt nur „Wow“.
Schreiben Sie explizit Filme für Frauen mit migrantischem Hintergrund?
Wenn ich schreibe, habe ich kein Zielpublikum vor Augen. Aber ich würde mir wünschen, dass sich Menschen diesen Film anschauen, die vielleicht keine Berührungspunkte mit diesen Erfahrungswelten haben. Gleichzeitig wünsche ich mir Menschen im Kinosaal, die genau das erlebt haben. Ein Kinosaal ist ja auch ein Raum, der verbindet. Kino bringt uns alle näher. Ich glaube nämlich an die Idee einer großen Menschenfamilie. Und am Ende sind das auch universelle Geschichten, die der Film „Drei Kameradinnen“ erzählt.
Können Sie sich vorstellen, wie bei „Elaha“ Bildungsveranstaltungen zu „Drei Kameradinnen“ in Schulen zu machen?
Ja, ich denke, dadurch, dass ich so privilegiert bin und Filme machen darf, muss ich auch verantwortungsvoll mit den Geschichten umgehen. Sowohl beim Filmemachen als auch in der Rezeption. Absolut würde ich mir Schulveranstaltungen wünschen. Weil es um Ausgrenzung, um Übergriffe, Informationen und Medienkonsum geht, wäre der Film für junge Menschen wichtig, denke ich.
An was arbeiten Sie gerade?
Ich komme von einer Motivtour in Köln zurück. Wir befinden uns in der Vorbereitung für einen Film über Iris Sayram, Journalistin und Korrespondentin der „Tagesschau“, die ein Buch über ihre Kindheit in den 80er-Jahren im Kölner Friesenviertel geschrieben hat („Für Euch“). Der Dreh startet Mitte August.
Durchstarterin mit vielen Projekten
Die Regisseurin
Milena Aboyan wurde 1992 als jesidische Kurdin in Jerawan, Armenien geboren. Sie hat Drehbuch und Regie studiert. Vor ihrem Abschluss an der Filmakademie Baden-Württemberg hat sie Schauspiel in Kassel studiert und ist ebenfalls staatlich anerkannte Schauspielerin. Die 33-Jährige lebt in Hamburg.
Termine
„Wovon sollen wir träumen“ startet diesen Herbst in den Kinos. „ Elaha“ wird im Herbst im SWR und der ARD Mediathek zu sehen sein. Der neue Stuttgart-„Tatort - Überleben wenigstens bis morgen“ soll laut Aboyan und SWR nach der Sommerpause im TV laufen. Der Kinostart für „Drei Kameradinnen“ ist für das Frühjahr 2026 geplant.
Drehorte
„Drei Kameradinnen“ wurde in Stuttgart gedreht, unter anderem an folgenden Orten: Asemwald, Maritim Hotel, Statistisches Landesamt, Schankstelle, Schmidener Eck, Mercedes-Benz Studio.