Sportler, Showstars und andere Prominente kassieren monströse Gagen für ihr Tun. Ungerecht? Eigentlich wollen wir es gar nicht anders. Das vermutet jedenfalls der StZ-Autor Martin Gerstner – und rät zu mehr Gelassenheit.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Da, schon wieder ein Fehlpass! Auf weniger als 20 Meter. Hätten wir damals besser . . . und sowieso . . . alle gedopt. Und diese sogenannten Künstler?! Zum Überdruss wiederholte Maschinenbeats . . . Produzenten- und Computerroutine . . . kann doch jeder. Qualität? Pah! Wer sich proletenhaft genug aufführt, bekommt Beachtung und Geld. Obszön viel Geld. Sportler, Popmusiker, Schauspieler – alles Drohnen, die vom hart erarbeiteten Geld der kleinen Leute leben und jene dafür noch verachten. Ungerecht, oder?

 

Indes: sollte man hier wirklich mit einem Gerechtigkeitsbegriff operieren, der schon in der normalen Arbeits- und Warenwelt an Grenzen stößt? Natürlich ist es ungerecht, wenn ein Fußballspieler mit Millionen entlohnt wird, dessen Tagesablauf aus Training, Freizeit, dem Lieblingsitaliener und der ausdauernden Benutzung monströser Kopfhörer besteht. Das Tagewerk eines Popmusikers zu schildern verbietet sich ohnehin.

Andererseits weist die Gesellschaft dem Unterhaltungskünstler oder Sportler genau diese Rolle zu. Die Bewunderung, aber auch der Hass, die ihm zuteil werden, speisen sich aus seiner Entrücktheit. In seiner Welt dominiert eine nonchalante Verachtung der Normalität und des Geldes – das aber gleichzeitig den Status innerhalb der prominenten Konkurrenz definiert.

Was Promis sich erlauben, wird Managern kaum verziehen

Wir selbst stehen ratlos vor diesen Parallelwelten. Kaum volljährige Sportler, talentfreie Castingroups oder Autoren, deren Wortsalat nicht einmal für eine unfallfreie Twitter-Meldung reicht, werden zu Stars. Wie lange sie dort oben ausharren? Nun, wen kümmert’s? Erst einmal sind sie der realen Reproduktionswelt, den Fabriken, Ingenieurbüros, den Unis und Kaufhauskassen entrückt, jener Sphäre also, in der wir uns bewegen – gerädert und müde gemacht durch finanzielle Knappheit, frühes Aufstehen, drohenden Jobverlust, familiären Betreuungsnotstand.

Unsere Wut über „die da oben“ allerdings richtet sich weniger gegen die Unterhaltungsstars als gegen Politiker und Manager. Es muss wohl daran liegen, dass diese mit ihren Gehaltsforderungen gegen einen Kodex der Rechtschaffenheit verstoßen, den man Musikern, Schauspielern, Autoren gar nicht erst unterstellt. Zudem fehlt es an einer Instanz, die in der Lage wäre, Kriterien für den gerechten Lohn des Ruhms zu definieren. Die Kirche? Nun ja, wer in goldenen Badewannen badet . . . Die Politik? Wettert gegen die Gier der Manager, um Stimmung zu machen. Die Medien? Rekeln sich allzu gern im Dunstkreis der Schönen, Reichen und Mächtigen.

„Die da oben“ scheinen dem Alltag enthoben

Die wiederum haben allen Grund, zynisch und selbstverliebt solche Gerechtigkeitsdebatten aus ihrem Dasein zu wischen. Sie sehen Dinge, die kein Normalsterblicher sieht, bewegen sich in einer Blase, die zu durchstoßen unmöglich scheint. Und dennoch schaffen es einige, diesen goldenen Traum zu verwirklichen. Was haben die, was wir nicht . . . ? An diesem Punkt mischt sich beim Betrachter Hass mit Bewunderung, vielleicht auch mit innerer Einkehr.

Denn wir alle, die wir im normalen Leben herumhecheln, beugen uns dem Zwang zu Zugeständnissen, Kompromissen, falschen Wahrheiten. Die da oben sind anders. Sie eint eine ans Manische grenzende Fokussierung auf den Erfolg, sie haben das Talent und den Mut, Peinlichkeiten und Niederlagen als Marksteine auf dem Weg zum Olymp links liegen zu lassen. Sie inszenieren eine Idee von sich selbst, die über ein Einfamilienhaus und die Sicherung der Altersvorsorge hinausgeht.

Diese Haltung des „alles oder nichts“ paart sich mit Fleiß und Ausdauer. Fleiß? Wer brächte die glamourösen Leichtfüße des Glitzerbusiness mit so einer altmodischen Tugend in Verbindung? Und doch: der Profisportler, der sich jeden Tag aufs Trainingsgelände schleppt, jede Sekunde auf die Signale des Köpers hört, dem am Tag der Schlacht keine Ausreden gestattet sind, der Musiker, dem das kreative Moment einmal vergönnt war, der es danach immer wieder erzwingen muss, auf dessen Versagen rachsüchtige Medien nur warten, der Schauspieler, der sich über marathonhafte Auftritte in der Provinz nach oben spielt – sie alle widerlegen die Typisierung als talentgesegnete Faulenzer. Sie sind mit Besessenheit arbeitende, manisch getriebene Sklaven ihrer Mission.

Man muss sie schon auch bewundern

Dieser naiven Begeisterung für das eigene Tun, dieser Hingabe an die Suche nach dem richtigen Beat, dem tödlichen Pass, der vermarktbaren Killeridee, wird einiges geopfert: Freundschaft, Bildung, Geselligkeit, Gelassenheit, Höflichkeit. Das macht die Celebritys unserer Tage oft zu veritablen Kotzbrocken. Einerseits. Andererseits: Muss man sie nicht bewundern für diese Zähigkeit und Ausdauer? Und letztlich sind sie es doch, die in unserem Leben für die Magie des Moments zuständig sind. Für Gänsehaut, schlaflose Nächte, Tagträume und ausgeschüttete Glückshormone.

Sollen sie also ihre Millionen ruhig einsacken? Ein Unbehagen bleibt. Der Fußballprofi Zlatan Ibrahimovic, den die Wut auf die bedrückenden Verhältnisse seiner Jugend an die Spitze des bezahlten Fußballs getrieben hat, wechselte für rund 20 Millionen Euro nach Paris. Solche Mega-Deals verstärken eine bittere Erkenntnis bei den Zu-kurz-Gekommenen. Es gibt nur einen Ausweg aus der qua Geburt determinierten Misere der eigenen Existenz: ein Aufstieg in der gefräßigen Maschine des Circus Maximus. Aus dieser Erkenntnis werden Heldengeschichten geschrieben. Für die Gescheiterten interessiert sich niemand. Ihnen wäre mehr geholfen, wenn die Gladiatoren eine geringere Rolle spielten und die Systeme mehr Offenheit, Fürsorge und Hilfe aufbrächten, um jenen zum Aufstieg zu helfen, die zwar keinen Doppelpass spielen können, aber genügend Tatkraft und Intelligenz besitzen, ihren Weg zu gehen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.