Im Stuttgarter Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe um Prinz Reuß sagen Ermittler des Bundeskriminalamtes aus. Dabei wird deutlich: In der Welt der Bundeswehr kennen sie sich nicht aus. Leidtragende sind die Prozessbeteiligten.

Mit der Bundeswehr steht die Beamtin des Bundeskriminalamtes (BKA) auf Kriegsfuß. Als Zeugin soll sie vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht den Richterinnen und Richtern des 3. Strafsenats nahebringen, was sie über Uniformen herausgefunden hatte. Die hatten Ermittler des Bundes- und Landeskriminalamtes in der Reutlinger Wohnung von Markus L. gefunden. Den 48-Jährigen rechnet der Generalbundesanwalt (GBA) dem militärischen Arm der mutmaßlichen Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß zu. Als am 22. März 2023 Ermittler seine Wohnung wollten, schossen L. und Polizisten des Spezialeinsatzkommandos Baden-Württemberg aufeinander. Ein Beamter wurde dabei schwer verletzt.

 

In L.s Wohnung fanden die Ermittler zahlreiche Tarnklamotten der deutschen und US-amerikanischen Streitkräfte. Wozu im Einzelnen die vorgesehen sind, konnte die BKA-Beamtin nicht sagen. Sie habe eigentlich mit Hilfe von Fotos die Asservate auswerten sollen. An einem fanden sich an einer tarnfarbenen Feldbluse der Bundeswehr vier aufgenähte Abzeichen. Was die bedeuteten, wollte der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen wissen. Das, so die Zeugin, habe sie nicht herausgefunden.

Dabei ist mit wenigen Klicks selbst im Internet die „Zentralvorschrift A1-2630/0-9804“ zu finden. Die regelt alles, was in der Bundeswehr warum und wie angezogen wird, was welcher Soldat sich auf die Uniform nähen darf. Drei der vier Abzeichen aus der Reutlinger Wohnung sind dort ebenso zu sehen wie die Bestimmungen, unter denen sie verliehen werden: die Abzeichen für den allgemeinen Heeresdienst wie auch das für Rohrwaffenpersonal. Das erste wird grundsätzlich an Soldaten des Heeres verliehen. Das zweite an die, die Kanonen und Geschütze bedienen.

Die silberne Einfärbung sagt aus, dass der Träger des Abzeichens seit mindestens fünf Jahre in diesem Bereichen tätig ist. Zudem fand sich das Leistungsabzeichen in Gold an der Feldbluse. Verliehen für eine Mischung aus sportlichen und militärischen Anstrengungen wie Pistolenschießen und Erster Hilfe. Zudem war ein Schießabzeichen der US-Armee aufgenäht. Verliehen dafür, dass der Soldat zehn Patronen mit einem Gewehr der amerikanischen Streitkräfte geschossen und getroffen hat.

Eine Uniformjacke also, die L. geschenkt worden sein muss. Oder die er sich ganz legal in einem Nato-Shop kaufte. Denn in seiner Bundeswehrzeit hat er sie nicht getragen. Der Reutlinger absolvierte zum Ende der 1990er-Jahre nur seinen zehn Monate dauernden Grundwehrdienst und verließ die Wehr als Obergefreiter. Aus dieser Zeit dürften auch die anderen deutschen Uniformstücke stammen, die in L.s Wohnung gefunden wurden: Jeder Wehrdienstleistende beschaffte sich zusätzlich zu den drei ihm ausgehändigten Kampfanzügen mindestens zwei, drei weitere: Nur so konnte er sicher sein, immer auch über einen sauberen zu verfügen.

Das hätten die Ermittler auch mit der sogenannten Bekleidungsstammkarte herausfinden können. In die gesiegelte Urkunde wird mit Ausnahmen von Waffen und deren Zubehör jedes Ausrüstungsstück von der Unterhose bis zum Schlafsack eingetragen, das ein Soldat erhält.

Was hat Markus L. bei der Bundeswehr gemacht?

Diese Karte dürfte für einen Heeressoldaten wie L. bei der Stammdienststelle des Heeres (SDH) im Archiv sein. Wie auch die Information, was L. überhaupt als Soldat in der Bundeswehr machte, wie gut er schoss. Eingesetzt wurde er in der Stabs- und Versorgungs-, der 1. Batterie, des damaligen Feldartilleriebataillons 295 in Immendingen; abgekürzt in der 1./FArtBtl 295. Also in der Einheit, die dafür sorgt, dass der Verband geführt, versorgt und repariert wurde. Anzunehmen ist, dass L. wegen seines zivilen Berufes als Industriemechaniker in dieser Einheit in der Instandsetzung verwendet wurde.

Für die Prozessbeteiligten ist sicherlich interessant, ob er dort Waffen reparierte. Das wäre für das BKA beim schweigenden Angeklagten L. im Ausbildungs- und Tätigkeitsnachweis (ATN) zu recherchieren gewesen. Denn: Das Sturmgewehr, mit dem L. auf die SEK-Beamten schoss, baute er mutmaßlich illegal aus legal erworbenen Waffenteilen zu einer funktionstüchtigen Waffe zusammen.

Eine von den Richtern außerdem befragte Kollegin der ersten Zeugin bat den Militärischen Abschirmdienst um Informationen zu L.s Bundeswehrvergangenheit. Der militärischen Nachrichtendienst MAD ist dann zuständig, wenn es gilt, Spionage und Extremismus in den eigenen Reihen der deutschen Wehr abzuwehren. Nicht aber für alles das, wie ein Soldat in seiner Wehrdienstzeit eingesetzt wurde. Die Antwort der Geheimen fiel dünn aus: Sie teilten nur mit, in welchen Einheit L. wann eingesetzt wurde und mit welchem Dienstgrad er die Bundeswehr verließ.

Begrenzte Fähigkeit, im Internet zu suchen und zu finden

Auch bei dieser Zeugin wie auch bei einem aussagenden Kriminalhauptkommissar wurde deutlich: Ihre Fähigkeit, nach Dingen im Internet zu suchen und diese auch zu finden, scheinen begrenzt. Angesichts der Bedeutung, die Politik und der GBA der Gruppe um Prinz beimessen, verwundern die schludrigen Ermittlungen: Die Gruppe soll geplant haben, das bestehende, demokratische und rechtsstaatliche System Deutschlands gewaltsam zu stürzen und es durch eine eigene, in seinen Grundzügen bereits ausgearbeitete Ordnung zu ersetzen.

26 Männer und Frauen verantworten sich deshalb in Frankfurt, München und Stuttgart vor den Oberlandesgerichten. Neun Angeklagte des mutmaßlichen militärischen Arms der Gruppe um Prinz Reuß in Stuttgart. Gerade für dieses Verfahren verwundert es, dass weder BKA noch GBA bei der Bedeutung der Ermittlungen einen Sachverständigen fürs Militärische herangezogen. Dauerhaft in den Prozess entsandt, könnte er den Prozessbeteiligten das vorgelegte Beweismaterial auch einordnen. Denn: Polizeibeamte waren bis zur Aussetzung des Wehrdienstes am 1. Juli 2011 davon befreit, in der Bundeswehr zu dienen.