Die Bühne in der Porsche-Arena ist eine schliche Plattform, es gibt auf ihr nichts als Reinhard Mey und seine Gitarre. Doch dem Sänger mit der unverwechselbaren Stimme gelingt es ganz selbstverständlich, den großen Raum zu füllen – mit Geschichten aus vergangenen Zeiten.

Stuttgart - Er steht aufrecht, regungslos am Mikrofon. Sein Haar ist weiß geworden, aber er singt, mit einer Stimme, die jeder augenblicklich erkennt. Er erzählt von der Katze, die davonlief, vom Lachen der Nachbarstochter, der rheinischen Frohnatur; er kehrt zurück in seine Kindheit, streift durch die Jahrzehnte, und jedes seiner Worte wird vernommen, jede seiner Geschichten wird erlebt. Oft, und früh schon, hat man Reinhard Mey eine allzu biedere, apolitische Haltung vorgeworfen - aber welch ein Trost ist es, im Jahr 2017, dem Mann aus der verlorenen Mitte zu lauschen, aus einer Zeit, in der die Lieder noch geholfen haben.

 

Die Porsche-Arena gab sich wohl niemals bescheidener, als an diesem Abend - die Bühne ist nur eine schlichte Plattform, eine schmucklose Fläche; es gibt nichts, als Reinhard Mey, seine Gitarre, den Spot, der auf ihm ruht, und seine Stimme, die, sorgfältig abgemischt, klar in allen Nuancen, bis in den letzten Winkel der Halle getragen wird. Und Reinhard Mey gelingt es selbstverständlich, den großen Raum, der ihn umgibt, ganz auszufüllen, mit seinen Worten, seiner Persönlichkeit.

Weshalb aber muss es die Porsche-Arena sein, die am Samstagabend mit 6000 Besuchern nicht vollständig ausverkauft ist, weshalb ein kalter, anonymer Umschlag, für einen Brief, der menschlicher nicht sein könnte? Die Zeiten, in denen der Sänger sich verweigerte, so scheint es, sind vorbei - egal: Reinhard Mey schwört auf die guten Augenblicke, will das trotz allem gelungene Leben. Er sagt: „Es ist zu spät für Bitterkeit. Jedes nicht gesagte Danke wird wie ein Mühlstein auf der Seele ruhen“ - und meint dabei aber eigentlich jenen Dr. Brand, dem er ein Lied auf seinem jüngsten Album gewidmet hat, den er und seine Klassenkameraden quälten, vor so langer Zeit: „Wir waren die Crème de la Crème der übelsten Gesellen, und er war so eine sanfte, verletzliche Kreatur...“.

Am Ende steht das Publikum und singt mit

Ein Blick zurück, nach fast einem Leben, und eine Entschuldigung, die gewiss zu spät kommt - nicht aber die Einsicht, die Erinnerung. „Mr. Lee“ ist Reinhard Meys 27. Studioalbum in genau 50 Jahren, und es ist wieder voll von Liedern, von den Geschichten, die um die private Welt des Sängers kreisen, und, nicht selten, um den Wein. Mey spielt all diese Lieder in Stuttgart, gibt ihnen eine neue Reihenfolge, Dramaturgie, holt auch das eine oder andere von einst aus seinem großen Liederbuch hervor. Vor 40 Jahren, sagt er, schrieb er ein Lied, das von der Gegenwart des Jahres 2017 handelt - „Sei wachsam“, so heißt es: „Es ist ne’ Riesenkonjunktur für Rattenfänger.“

Reinhard Mey, der gerne fliegt, singt auch sein bekanntestes Lied, in Stuttgart. „Eigentlich“, sagt er, „hatte ich etwas voreilig beschlossen, es erst im Jahr 2024 wieder zu singen, aber ich habe einfach Lust dazu.“ 82 Jahre alt wäre er dann, 75 Jahre wird er im Dezember. Es gibt eine lange Pause, doch der Sänger steht zuletzt ganze zweieinhalb Stunden auf der Bühne, seine Gitarre im Arm. Er spielt seine Lieder und erzählt, vergisst kein Wort seiner Texte, gönnt sich gar eine sehr ironische Rap-Einlage: „Auch ein alter Liedermacher muss das Ohr am Puls der Zeit haben.“ Der Klang seiner Saiten umtanzt hell die Stimme, die wenig rauer geworden ist, aber ihre Melodie nicht verloren hat. Seine Zugabe gibt er bei Saallicht; schließlich sagt er: „Adios muchachos“. Aber ein Lied bleibt noch, nach jedem langen Abend mit Reinhard Mey. Das Publikum steht und singt mit ihm, als er sich noch einmal bedankt, bei seinen Freunden - „Für die Freiheit, die als steter Gast bei euch wohnt.“ Ein altes Lied, das doch, zumindest, Hoffnung wecken kann.