Reinhold Messner ist weiter gegangen als andere und hat immer wieder seine Grenzen gesucht. Im Interview erzählt er von Stürmen in der Antarktis und sauerstoffarmer Luft auf dem Mount Everest.

Reinhold Messner ist weiter gegangen als andere und hat Tabus gebrochen. Der Südtiroler hat immer wieder seine Grenzen gesucht: Von seiner ersten Besteigung eines 3000ers im Alter von fünf Jahren bis zur Durchquerung der Wüste Gobi als 60-Jähriger. Im Gegensatz zu modernen Abenteurern geht es Messner weniger um Rekorde als um das Ausgesetztsein in möglichst unberührter Natur und das Unterwegssein mit einem Minimum an Ausrüstung. Davon erzählt er am Samstag, 14. November, in einer Live-Foto- und Filmshow in der Schwabenlandhalle.
Herr Messner, was war Ihr jüngstes Abenteuer?
Ich war gerade am Mount Kenia für einen neuen Film. Dreiviertel der Bilder sind im Kasten, und es war auch deshalb eine neue Erfahrung, weil das Klettern zwar notwendig war, aber nicht das Wichtigste. Noch ist aber nichts spruchreif, und bis der Film fertig ist, dauert es noch eineinhalb Jahre.
Hat die Sehnsucht danach, an Grenzen zu gehen und sie zu überschreiten, etwas mit der begrenzten Welt Ihrer Kindheit zu tun?
Das hat schon etwas damit zu tun. Ich habe nach Freiraum gedürstet. Ich bin früh instinktiv geklettert, mit 15, 16 Jahren habe ich nicht mehr gekonnt als andere, aber ich hatte einen gesünderen Instinkt, und mit 20 habe ich gemerkt, dass das, was früher ein Tabu war, möglich war.
„Ich gehe freiwillig in die Hölle“, ist ein Zitat von Ihnen. Welcher innere Teufel hat sie dabei geritten?
(Lacht) Es ist kein Teufel, aber wir Grenzgänger gehen freiwillig in ein Habitat, das nicht für Menschen gemacht ist. In der Arktis und über 5000 Meter kann der Mensch eigentlich nicht überleben, aber wir versuchen das. Eine Stunde lang in der Kälte hocken, oder eine Minute in der Unterdruckkammer zu sein ist etwas anderes, aber lange in den Extremen zu leben, ist wie in der Hölle leben.
Wie oft haben Sie sich, wenn Sie auf einer Tour am Limit waren, gefragt, was Sie eigentlich hier tun und sich nach einem ruhigen Abend mit der Familie gesehnt?
Dieses sich draußen nach daheim zurücksehnen, und daheim nach draußen sehnen, kenne ich schon. Man ist immer am liebsten dort, wo man gerade nicht ist. Der Mensch ist halt so gemacht. Aber ich habe mit fortschreitendem Alter entschieden, ich mach das und jammere nicht herum, auch nicht vor mir selber.
Sie wirken zwar nicht so, als fürchteten Sie sich vor irgendetwas. Dennoch, welche Landschaft hat Ihnen mehr Respekt eingeflößt, die Achttausender im Himalaja, oder die Eis- und Sandwüsten dieser Erde?
Die großen Berge machen mehr Angst, da kann man herunterfallen, die Stürme können dich herunterblasen. Da geht man manchmal nurmehr auf allen Vieren. In der Antarktis kann ich nur hinfallen, nicht herunterfallen, die Stürme erträgt man leichter. In der Antarktis habe ich schlimmere Stürme erlebt als am Mount Everest, aber nie diese große Angst. Die sauerstoffarme Luft und die Tiefe kommen beim Bergsteigen dazu. In der Antarktis sind die Dimensionen größer, und dazwischen ist Kälte. Beides ist schwierig, aber die großen Berge sind schon eine ziemlich höllische Welt
Sie haben nach dem Erdbeben im April die Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Rettung kritisiert und sind einer der größten Gegner des Massentourismus am Mount Everest. Ist der Berg noch zu retten?
Der Berg würde sofort alle Menschen abschütteln, wenn man ihn ließe. Aber man hat ihn zur Attrappe gemacht. Er wird in Seilen, Ketten und Leitern gelegt, und dann kann man ihn konsumieren. Ärzte und Bergführer sind da, aber es hat mit Bergsteigen nicht zu tun. Es wird immer mehr Tourismus, und das gilt für alle hohen Gipfel. Ich wünsche mir, dass man das auseinanderhält. Die Medien trennen nicht zwischen Alpinismus und Tourismus, aber wenn der Tourismus den Gipfel des Mount Everest erreicht hat, wo beginnt dann der Alpinismus. Alpinismus ist aber ein Wert, eine kulturelle europäische Erscheinung, sie sollte nicht verloren gehen.
Mittlerweile sind Sie wohl etwas öfter daheim in Südtirol. Haben Sie das ruhigere Leben zu schätzen gelernt?
Ich bin ein braver Familienvater, schon immer gewesen. Ich lebe gerne, werde sehr verwöhnt, das hat meine Mutter schon gemacht, und alle Frauen jammern, wie verwöhnt ich bin. Wenn mein Bruder und ich morgens losgegangen sind, hat die Mutter uns ein Frühstück gemacht und nie gejammert, dass wir vielleicht nicht wiederkommen. Ohne diesen Freiraum hätte ich es nie machen können. Meine Frau hat mir dann schon mal das Testament hingelegt, bevor ich gegangen bin und gesagt: Du könntest umkommen, regle deine Sachen.
Sie bezeichnen Ihre sechs Museen, Ihren „15. Achttausender“ wie Sie sie nennen, als Summe all Ihrer Erfahrungen?
Ich habe eine Erzählweise gewählt, die offensichtlich funktioniert. Die Museen sind so, wie ich auf der Bühne erzähle, dazu kommen meine Sprachbilder. Im Museum bin ich nicht da, aber es gibt Texte, Zitate, Kunst und Reliquien, die größte Sammlung der Welt was Bergsteigen angeht, und so erzähle ich emotional von den Bergen. Mich interessieren die Menschen in der Natur. Ich bin auf einer psychologischen Ebene unterwegs, ich will erzählen, was passiert, wenn wir Menschen in den Bergen sind.
Was soll das Publikum in Fellbach aus Ihrer Foto-Film-Show nachhaltig mitnehmen?
Ich nehme die Leute mit in meine Welt, es sind emotionale Bilder für meine Zuhörer, die in meine Emotionen hineingezogen werden. Sie haben den Everest dann zwar nicht bestiegen, aber die Gefühle erfahren und erlebt.