Die vietnamesische Hauptstadt überrascht auf vielerlei Arten: Anblicke, Klänge – sogar die Luft duftet anders.

Hanoi - Ein großer, silberner Fisch landet auf der Straße und liegt da flatternd. Schnell springt die kleine Frau in schwarzen Gummistiefeln und bunter Baumwollhose auf, fängt den Ausreißer und bringt ihn wieder zu ihrer Straßenecke, an der sie ihr Meeresfrüchteangebot in Eimern und Schüsseln ausgestellt hat. Auf dem Bürgersteig gegenüber betrachtet die Verkäuferin von großen, roten Fleischstücken das unerwartete Spektakel. Ihre Ware läuft zum Glück nicht weg.

 

Es ist frühmorgens in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Der Nachtmarkt geht zu Ende, doch um diese Uhrzeit kann man noch die letzten Frauen antreffen, die frische Ware aus Töpfen, Körben und auf Matten direkt auf der Straße anbieten. Duftende Büschel Kräuter, knallpinke Dragonfruit, große gelbe Bananen – alles offen ausgelegt. Manche Frauen haben Tische aufgebaut. Andere, wie die Fischverkäuferin, haben einen kleinen Plastikhocker und stellen die Behälter auf umgedrehten Kisten aus. Andere wiederum haben nur ein Fahrrad mit großen Tabletts darauf.

Die Luft hier riecht wie keine andere dieser Welt. Zitronengras, Bambus und tropische Blumen vermischen sich zu einem herben, bittersüßen, nicht unangenehmen Duft. In Vietnam ist seine konkrete Herkunft nicht festzustellen, wieder zu Hause angekommen ist er nicht wiederzufinden. Los lässt er nie mehr.

Tai-Chi und Ho Chi Minh an einer Kreuzung

Am stillen Hoan-Kiem-See streckt sich eine Gruppe Frühaufsteher mit Tai-Chi-Bewegungen. Eine andere Klasse hat scheinbar keinen Platz mehr am Wasser gefunden – was sie nicht von der Entspannung in der Öffentlichkeit abschreckt. Ihre Übungen macht sie nun an einer maximal unromantischen Kreuzung, vor einem Betonhaus. Vom vorbeifahrenden Verkehr lassen sich die bequem gekleideten Frauen nicht stören. Auf dem Dach direkt über ihnen, auf einem Schild so groß wie ein Viertel des Gebäudes, umarmt der kommunistische Revolutionär Ho Chi Minh, in Vietnam respektvoll Onkel Ho genannt, ein kleines Mädchen.

Keine Stadt in Vietnam scheint ohne Propagandaschilder auszukommen. Meist ist darauf Ho zu sehen, aber auch Frauen in Tracht, Kinder und kommunistische Symbole werden gezeigt. In der zentralvietnamesischen Stadt Hue, die für ihre Kaiserstadt weltberühmt ist, proklamiert ein Schild am Kreisverkehr: „Wir, Hues Einwohner, nehmen uns das Leben des Onkel Ho zum Vorbild“.

Offiziell ist das Land eine sozialistische Republik, von einer Einheitspartei regiert. In der Praxis, erzählt in Hue der dortige Reiseführer, seien nicht viele Vietnamesen von der Parteilinie überzeugt: „Viele sagen, dass Ho Chi Minh der letzte Kommunist war.“ Viel mehr geprägt sei das Land vom Konfuzianismus. Konfuzius, der im 5. Jahrhundert v. Chr. starb, forderte eine klare Hierarchie: Kinder sollen den Eltern gehorchen, die Jungen den Älteren, Frauen den Männern. Dieses Denken, sagt der Reiseführer, habe vom kommunistischen Gleichheitsideal nicht entwurzelt werden können – zu tief würde es sitzen.

Das Leben findet auf der Straße statt

In Hanoi scheint fast alles auf der Straße stattzufinden. Ein betagter, graubärtiger Metallhandwerker schweißt konzentriert etwas an, es fliegen Funken. Eine ältere Frau in einem Micky-Maus-gemusterten Pullover und einem traditionellen Strohhut verkauft aus einer riesigen Kiste auf ihrem Fahrrad Clementinen. An einer viel frequentierten Straßenecke unweit vom Đong-Xuân-Markt hängt ein kleiner, plastikgerahmter Spiegel: Ein Friseur bedient unter freiem Himmel einen Kunden, es regnet schwarze Haare auf den heißen Asphalt.

Ruhig ist es in Hanoi gefühlt nie. Lautes, unaufhörliches Hupen gehört zur Untermalung der Stadt. Anfangs erschreckt man sich noch, nach ein paar Tagen nimmt man es als natürliches Hintergrundgeräusch wahr. Da Autos für die meisten Vietnamesen zu teuer sind, fahren hier fast alle Mopeds. Nguyen Van Tam, der Reiseführer für Hanoi, sagt, es gebe hier mehr Mopeds als Einwohner – eine durchaus nachvollziehbare Aussage.

Kleine Omas mit großen Paketen unter dem Sitz, Männer in Anzügen mit Brieftaschen im Korb, junge Frauen, die in zwölf Zentimeter hohen Stilettos auf der Lederbank wie auf einem Thron sitzen – alle fahren durch die Stadt mit einer Ausstrahlung an Würde, von der andernorts viele Porsche- und Audi-Besitzer nur träumen können.

Modischer Atemschutz

Der berühmte asiatische Atemschutz ist ein regelrechter Modeartikel: Auf den Märkten sind die Stoffmasken, die Mund und Nase vor Sonne und Schadstoffen schützen sollen, in jeder denkbaren Farb- und Musterkombination zu finden. Ebenso bunt sind beim Anblick des nicht enden wollenden Mopedstroms die Helme: Zeichentrickfiguren, Superhelden, Flammen, knalliges Gelb, strahlendes Türkis – man muss gesehen werden. Und in einer Stadt wie Hanoi kann das vermutlich auch zur Überlebensstrategie werden. Wer behauptet, fahren zu können, sollte es in Hanoi versuchen. Dabei wäre er oder sie, laut dem Reiseführer aus Hue, fortgeschrittener als die meisten Hanoianer. Er erzählt, wie er vor Jahren seinen Führerschein bekam: „Sie setzten uns ab in der Stadt und sagten: ,Wer in einer Stunde an diesem und jenem Ort ist, hat bestanden‘.“ Entsprechend sieht der Verkehr in der Stadt aus. Wer auf eine Lücke im Strom wartet, um die Straße zu überqueren, wird sich nie von der Stelle bewegen können. Die einzige Strategie: einfach geradeaus laufen. Und nicht zur Seite schauen, sonst verschwindet der Mut! Als Ausländer wartet man am besten, bis jemand von den Einheimischen ebenfalls über die Straße will – und folgt dem Experten.

Wasserpuppen kämpfen gegen Unfälle

Die Unfallraten in Hanoi sind so hoch, dass sogar das traditionelle Wasserpuppen-Theater sich an der Aufklärung über Straßensicherheit beteiligt. Auf dem Spiegel der Wasserbühne in Phan Thanh Liems Theater rasen hölzerne Mopedfahrer hin und her, mit einem langen Stock hinter den Kulissen gesteuert. Ein verzweifelter Verkehrspolizist in angemalter Uniform versucht sein Bestes, das Chaos zu regeln – doch es endet wie erwartet: Das Moped und sein kleiner Fahrer liegen schwebend, während der Polizist das Publikum auf die Verkehrsregel hinweist. Das Stück hat der in siebter Generation tätige Puppenmeister extra entwickelt – auch wenn Wasserpuppen sich in der Regel Märchen und dem Leben der Bauern widmen.

Vor den voll beladenen, wenige Meter breiten Geschäften der Altstadt, auf den schmalen Bürgersteigen, sitzen auf Stühlen und Hockern die Verkäuferinnen und Verkäufer. Zwischen gerollten Strohmatten fischt eine Frau ihr Mittagessen mit Stäbchen auf einer Plastikbox. Vor einem Accessoireladen scrollt eine Frau in pinkfarbenem Oberteil auf ihrem Smartphone. Je nach Straße ist hier von den Händlern alles zu bekommen: Regenschirme, komplex verzierte Holzarbeit, Küchenwaren. Die kleinen Häuser stehen eng aneinander. Die ehemals prachtvollen, bunten Fassaden aus dem 19. Jahrhundert sind teils verschimmelt.

Einige Straßen weiter scheint Hanoi eine andere Stadt zu sein. Das Französische Viertel prahlt mit breiten Straßen, sauberen Fassaden, hohen Häusern. Die Bürogebäude sind gläsern, die Männer tragen Anzüge, die Frauen Bleistiftröcke. Die Boutiquen hier sehen teuer aus. In diesem Viertel sitzen die Botschaften, die Regierung, das militärhistorische Museum. Im grünen Park gegenüber der deutschen Botschaft steht ein Lenin-Denkmal, das einst aus der UdSSR nach Vietnam gebracht worden war. Auf dem Weg vom geschlossenen Ho-Chi-Minh-Mausoleum zur Oper läuft ein Hahn frei herum.

Hinkommen, Unterkommen, Rumkommen

Anreise

Direktflüge aus Deutschland gibt es mit Vietnam Airlines ab Frankfurt am Main. Mit Zwischenstopps fliegt zum Beispiel Lufthansa ab Frankfurt.

Unterkunft

Hanoi Pearl Hotel (vier Sterne), ab 46 Euro pro Nacht inkl. Frühstück.

Classic Street Hotel & Spa (drei Sterne, familienfreundlich), ab 28 Euro pro Nacht.

Hanoi Original Backpacker Hotel, ab 4 Euro pro Nacht, inkl. Führung durch die Altstadt.

Pauschalgruppenrundreise „Vietnam entdecken“: 15 Tage inkl. Direktflug ab/bis Frankfurt und Unterkunft, ab 1888 Euro pro Person bei FTI Touristik, Tel. 089 / 7 10 45 14 98.

Essen und Trinken

Street-Food-Führungen beim Hanoi Cooking Centre. Ein Muss – die Pho-Suppe. Circa 50 Euro pro Person.

Egg Coffee im Giang Cafe. 39 Nguyen Huu Huan.

Craft Beer: „Perfect 100“, „Pho Bia“ und saisonale Kreationen bei Furbrew, (68/238 Au Co), Lemongrass Weizen und Farmer’s Weizen bei Barett (2 Bán Đao Linh Đàm).

Allgemeine Informationen

Indochina Services, München, Tel. 089 / 21 90 98 66 -0,

Die Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam,

www.tourismus.de/asien/vietnam/fremdenverkehrsamt/,