Der StZ-Korrespondent Johannes Dieterich hat das Ebolagebiet bereist. Er berichtet über die Folgen für ihn selbst nach der Rückkehr. Körperlich ist er gesund – doch eine irrationale Angst vor Ansteckung macht ihn für Wochen zum Ausgestoßenen.

Johannesburg - Sie mussten einen spitzen schwarzen Hut tragen und eine Rätsche mit sich führen, um Passanten schon von weitem zu warnen. Obwohl Lepra-Kranke kaum ansteckend sind, wurden sie als Aussätzige behandelt – bis ins vergangene Jahrhundert. Aus der Gemeinschaft ausgesetzt hatten sie ein erbärmliches Leben zu führen. Ein alter Aberglaube, der längst überwunden ist? Mitnichten. Dieselben irrationalen Ängste sind noch heute am Werk, wie ich als Korrespondent in den vergangenen Wochen am eigenen Leib erfuhr.

 

Die Ehefrau hat Verständnis für den Journalisten

  Die Entscheidung war nicht leicht gefallen. Auch ich liebe mein Leben und weiß um meine Verantwortung als Familienernährer. Doch wie soll ich meinen Lesern eine der größten humanitären Krisen der Gegenwart näher bringen, wenn ich sie selbst nicht gesehen habe? Also weg aus meinem sicheren Wohnort in Südafrika und auf nach Liberia, der Hochburg der Ebola-Epidemie. Schließlich hatten schon andere vor mir ihre Furcht überwunden: „Ärzte ohne Grenzen“, Unicef-Mitarbeiter, auch eine Handvoll Kollegen aus den USA, Großbritannien und Frankreich.   Meine Frau versteht meine Situation und lässt mich gehen. Als bedeutendere Hindernisse erweisen sich der Boykott der Airports in der Krisenregion durch die meisten Fluggesellschaften und die Drohung der südafrikanischen Regierung, Personen, die nach Liberia, Sierra Leone oder Guinea reisen, nicht mehr zurück zu lassen.

In den Straßen von Monrovia sieht man Ebola nicht

Aber auch diese Hürden lassen sich mit etwas Aufwand und Fantasie überwinden.   Die Angst verliert sich schon wenige Stunden nach der Ankunft. Liberia sieht man die Seuche auf den ersten Blick nicht an. Auf den Straßen bewegen sich die Leute ohne jene gruseligen Schutzanzüge, die man auf Fotos immer sieht. Das Leben lässt sich von dem unsichtbar durch die Häuser und Hütten streifenden Tod nicht unterkriegen. Schnell gewöhnt man sich an die Schutzmaßnahmen, die inzwischen selbstverständlich sind. Man grüßt niemanden mit Handschlag, sucht auch sonst Berührungen aus dem Weg zu gehen, wäscht sich in den allgegenwärtigen Chlorwasser-Eimern die Hände und lässt sich zehn Mal am Tag das Fieber messen. Ich verstehe meine ursprüngliche Nervosität nicht mehr.   Ein kanadischer Kollege hat sich vor der Reise nach Liberia eine Schutzmontur mit Plastik-Overall, Gummihandschuhen, Kapuze und Motorradbrille zugelegt. Absurd.

Das Virus kann nicht fliegen

Wie will man mit einem Ebolakranken im Slum ins Gespräch kommen, der sich mit einer apokalyptisch anmutenden Gestalt konfrontiert sieht und deren Fragen wegen des Mundschutzes kaum zu verstehen sind? Solange man Abstand hält, ist keine Ansteckung zu befürchten, beruhigt eine Seuchenexpertin. Das Virus fliegt nicht und wird nur über die Körperflüssigkeit bereits mit Symptomen erkrankter Infizierter übertragen. Dass hier die Infektionsrate so hoch ist, hat mit den haarsträubenden Bedingungen zu tun. Weil Angesteckte aus Platzmangel nicht in Isolierstationen aufgenommen werden, werden sie zu Hause behandelt. Die Mehrheit der Ebolakranken hat sich bei der Pflege von Verwandten oder Patienten angesteckt.  

Nach einer Woche sind meine Recherchen abgeschlossen – doch nun fangen die Probleme erst richtig an. Einen Vorgeschmack finde ich in meiner Mailbox. Meine Frau kündigt an, dass ich zu Hause eher mit Angst als mit Wiedersehensfreude empfangen würde. Immerhin gibt mir die zweitägige Heimreise die Gelegenheit, mit meiner klugen Partnerin eine sachliche Debatte über das tatsächliche Ansteckungsrisiko zu führen. Sie willigt schließlich ein, dass ich die drei Wochen, die das Virus höchstens braucht, nicht in Quarantäne im Landhaus eines Freundes verbringen muss.

Die ersten zwei Tage nach der Rückkehr rote Augen

  Bei der Einreise fragt dann keiner, wo ich herkomme. Zu Hause verabrede ich mit meiner Frau, dass ich in den nächsten drei Wochen niemanden berühre und im Gästezimmer schlafe. Eine eigentlich unnötige Vorsichtsmaßnahme, die jedoch meinen prekären Zustand als potenzielle Virenbombe im Bewusstsein halten soll. Die ersten zwei Tage verlaufen angespannt, was mit meinen roten Augen zusammenhängt: Die gelten in Liberia als erstes Vorzeichen von Ebola. Ich gehe davon aus, dass es sich um die Folgen der zweitägigen schlaflosen Reise in klimatisierten Räumen handelt – und behalte Recht.  

Damit ist das Thema allerdings noch nicht vom Tisch. Freunde und Verwandte stellen sich als wesentlich hartnäckiger als meine Frau heraus. In den folgenden Tagen und Wochen werde ich auf der Straße umgangen, vom Zahnarzt und Frisör wieder nach Hause geschickt und zu Festen wieder ausgeladen. „Wegen der Kinder“ will eine Cousine meiner Frau das jüdische Neujahrsfest lieber ohne mich feiern. Da helfen sämtliche Erläuterungen über Infektionswege nicht weiter – die Angst ist vernunftresistent. Selbst meine Frau wird zur Einschränkung ihrer Sozialkontakte gezwungen, schließlich könnte auch sie inzwischen kontaminiert sein. Die Angst entpuppt sich wieder einmal als verheerender Reflex. 

Aufgebracht über die Ächtung begebe ich mich trotzig ins Fitnessstudio, ohne jemanden über meinen Zustand aufzuklären: ein kindisches Verhalten, das unangenehmste Folgen haben könnte. Nicht dass ich dort – ohne unter Krankheitssymptomen zu leiden – jemanden anstecken könnte. Doch wenn ich später tatsächlich ins Krankenhaus müsste und den Epidemiologen erzählen müsste, wo ich mich herumgetrieben habe, dann würde ich alleine wegen des Aufenthaltes in der Fitnessbude öffentlich gelyncht.

Ein verbotener Besuch im Fitness-Studio

Um in der Klinik zu landen, muss ich auch nicht einmal vom Ebolavirus angesteckt worden sein. Ein kleiner Malariaschub oder eine Grippe würden schon ausreichen. Denn sobald sich während der Inkubationszeit Fieber einstellt, habe ich mich schleunigst in die Isolation zu begeben. Ob es sich um Ebola oder etwas Harmloseres handelt, wird erst einige Tage später ein Test ergeben.

In meinen Albträumen sehe ich die Schlagzeilen in blutroten Lettern in der südafrikanischen Presse: „German Journalist brings Ebola to South Africa“. Hoffentlich rafft mich dann das Fieber weg, bevor mich der Volkszorn zerreißen kann.