Die Schweizer Springreiter Steve Guerdat und Martin Fuchs führen die Weltrangliste an. Ansonsten sind sie ziemlich verschieden. Der eine gilt als arrogant, der andere als herzlich.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Reiter sind Individualisten, und da ist der Sprung zum Egoisten nicht wirklich weit. Steve Guerdat sagt von sich selbst, er sei eigenwillig und manchmal unausstehlich, denn Everybody’s Darling will er nicht sein. „Ich bin auf dem Platz die Nummer eins, also ein Leader, was den Sport anbelangt“, hat der Schweizer einmal sein Selbstverständnis als Springreiter erläutert. Mag sich arrogant anhören, kommt der Realität aber ziemlich nahe. In der Weltrangliste steht Steve Guerdat seit zehn Monaten auf der Spitzenposition, was sich in der Szene wie eine Ewigkeit anfühlt. Auf Platz zwei folgt Martin Fuchs, ebenfalls Eidgenosse und ziemlich sicher der einzige Konkurrent im Orbit der Springreiter, der dem ehrgeizigen Mann aus dem Jura nicht grollt, wenn er von ihm geschlagen wird. Guerdat und Fuchs sind Freunde: Rivalität ja, Neid nein. „Ich freue mich für Steve, auch wenn ich gerne zuoberst auf dem Treppchen gestanden hätte“, sagt der 27 Jahre alte Fuchs über den zweiten Rang beim Weltcup-Finale in Göteborg im April.

 

Ein munteres Hin und Her

Dieses Gönnenkönnen ist keine Einbahnstraße. Wenn schon er selbst nicht gewinnt, dann wenigstens Fuchs. Es ist ein munteres Hin und Her. Bei der WM 2018 in Tryon belegte Guerdat Platz zwei vor Fuchs, nur die Deutsche Simone Blum machte den Eidgenossen einen Strich durch die kollegiale Rechnung. Bei der EM in Rotterdam im August schnappte Fuchs dem Freund den Titel weg. Bei großen Championaten funktionieren die beiden mit ihren Pferden wie ein Schweizer Uhrwerk. „Steve und Martin sind Reiter, die unter Druck noch besser werden“, sagt Thomas Fuchs, primär Vater von Martin und sekundär eine Art Cheftrainer der Schweizer Equipe. Guerdat schätzt die familiäre Atmosphäre bei den Fuchsens. „Sie behandeln mich wie ihren dritten Sohn. Dies macht die Momente, wenn ich mit Martin auf dem Podest stehe, so speziell und einzigartig“, erzählte der 37 Jahre alte Guerdat bei der WM 2018.

Zwei unterschiedliche Charaktere

Dabei sind die Nummer eins und die Nummer zwei der Welt recht unterschiedliche Charaktere. Der zehn Jahre Jüngere gilt als offen und kontaktfreudig, in der Schleyerhalle beendet er das kurze Gespräch am Nachmittag mit einem Lächeln und dem Hinweis: „Ich muss jetzt zum Schlafen ins Hotel, damit ich heute Abend für die wichtige Prüfung ausgeruht bin.“ Guerdat ist ruhig und verschlossen, wie Kai Huttrop-Hage ihn beschreibt; der Stuttgarter Turnierdirektor ist Geschäftsführer des Gestüts Albführen, dessen Pferde der Schweizer unterm Sattel hat, er kennt ihn bestens. Für Autogrammjäger und Reporter ist der Mann nur schwer greifbar, für seine Konkurrenten ziemlich schwer schlagbar – und als Kritiker sind seine Worte für den anderen schwer verdaulich. „Steve zeigt eine klare Kante, und damit eckt er eben auch mal an“, sagt Huttrop-Hage, „das schätze ich sehr an ihm.“

Guerdat hat seine Prinzipien

So meidet Guerdat die Global Champions Tour (GCT) seines ehemaligen Arbeitgebers Jan Tops, weil er zu seinen Prinzipien steht. Reitsport mag ein Geschäft sein, und man muss damit auch Geld verdienen – doch für den Jurassier, wie er genannt wird, dürfen Euro und Dollar nicht die sportliche Wertigkeit verfälschen. Der Olympiasieger von 2012 verabscheut, dass die Startplätze im Millionen-Spektakel GCT nicht ausschließlich nach sportlichen Kriterien vergeben, sondern auch gegen ein ordentliches Sümmchen verkauft werden – also lässt die Nummer eins diese (miese) Tour links liegen. Das unterscheidet die befreundeten Schweizer. Martin Fuchs kann nichts Anrüchiges am Geschäftsmodell von Jan Tops erkennen, er mischt in der Preisgeld-Oberklasse kräftig mit und hat erst im Juni die Großen Preise von Cascais und von Madrid gewonnen. 425 000 Euro hat Fuchs in der GCT in diesem Jahr gesammelt, insgesamt kommt er auf eine Gewinnsumme von etwas mehr als eine Million Euro.

Lesen Sie hier: Was Steve Guerdat vom Turnier in Stuttgart hält

Die Erfolge der Schweizer Doppelspitze ist nur möglich, weil beide Reiter über ebenso finanzkräftige wie zuverlässige Partner verfügen, die dafür sorgen, dass ausreichend Spitzenpferde in den Stallungen stehen – so können Guerdat und Fuchs trotz des engen Terminplans zu den großen Turnieren stets Pferde mitnehmen, die fähig sind, die wichtigen Prüfungen zu gewinnen. Zwar haben sie ihre Ausnahmerösser Bianca (Guerdat) und Clooney (Fuchs) nicht mit in die Schleyerhalle gebracht, dennoch werden die Nummer eins und die Nummer zwei der Springreiter vorn mitmischen. Wer am Ende wem gratulieren muss, das ist noch offen.