Die anfänglichen Probleme waren im Laufe der Nacht noch behoben worden. „Leider haben wir nur eine Kiste Bier“, hatte Keven Schlotterbeck noch im Stadion von Fortuna Düsseldorf gemeint. Da hatte der Abwehrspieler mit dem VfL Bochum gerade das Relegationsduell mit dem Zweitligisten gedreht. 0:3 im Hinspiel verloren, 3:0 im Rückspiel geführt (durch zwei Treffer von Philipp Hofmann und einen von Kevin Stöger), dann nach einer torlosen Verlängerung das Elfmeterschießen gewonnen. „Ich bin“, sagte Schlotterbeck da, „überglücklich.“ Weil er und seine Kollegen aber auch durstig waren nach dieser emotionalen Energieleistung, zogen sie schnell weiter.
Raus aus Düsseldorf, rein ins Bermudadreieck – ins Bochumer Vergnügungsviertel. Noch um 5 Uhr in der Früh sah man unter anderen Keven Schlotterbeck da noch am Tresen sitzen.
Die Emotionen waren da vermutlich schon wieder ein wenig heruntergedimmt worden. Dass er eine gewisse Coolness besitzt, hatte der 27-Jährige schon auf dem Rasen bewiesen. Zunächst organisierte er 120 Minuten lang die Bochumer Abwehr. Dann trat er als sechster Schütze im Ausscheidungsschießen zum Elfmeter an – und zimmerte die Kugel links oben in den Winkel. Weil Momente später der junge Düsseldorfer Takashi Uchino dann den Ball übers Tor jagte, war die Wende in diesem denkwürdigen Duell zugunsten des VfL geschafft. Noch nie zuvor hatte in einer Relegation ein Team ein 0:3 aus dem Hinspiel noch wettgemacht.
Selten zuvor hat man auch solch einen mutigen wie souveränen Elfmeter in einer solchen Drucksituation erlebt. Doch überrascht hat Keven Schlotterbeck damit zwar viele – aber eben nicht alle.
Eiskalt vom Elfmeterpunkt
„Wenn man die Familie kennt“, sagte etwa Stefan Kuntz, der als TV-Experte das Spiel verfolgte, „dann ist das nichts Überraschendes.“ Als Nachwuchstrainer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat der Europameister von 1996 sowohl Keven als auch dessen jüngeren Bruder Nico Schlotterbeck kennengelernt. Und er meinte zum Schuss des Älteren am Montagabend: „Von zehn Versuchen schießt er den zehnmal genau dahin.“
Der Hochgelobte erwiderte trocken: „Das würde ich jetzt auch mal behaupten.“ Und er bekam Unterstützung aus der bereits erwähnten Familie. Zwar nicht von den Eltern (Kuntz: „Das sind echte Feierbiester“) – die nämlich hatten Urlaub gebucht, ehe feststand, dass der VfL in die Relegation muss, und fehlten in Düsseldorf (Keven: „Wenn man zu früh bucht, ist man selber schuld“). Dafür aber nahm sich Onkel Niels Schlotterbeck am Tag danach gegenüber unserer Redaktion der Analyse an.
„Keven hat eine gute Saison gespielt, am Montag ein super Spiel gemacht, er war ein Garant für den Ausgang der Partie – und ich weiß, dass er cool ist“, sagte der frühere Profi der Stuttgarter Kickers, der heute eine Fußballschule betreibt und das Relegationsrückspiel am Montagabend daher in Waldshut-Tiengen auf einer Videoleinwand verfolgte. Gleich nach der Entscheidung hat er dann mit seinem Bruder, dem Vater von Keven und Nico, telefoniert. „Wir sind“, sagte Niels Schlotterbeck wenig überraschend, „alle happy gewesen.“ Denn eigentlich habe ja kaum mehr jemand damit gerechnet, dass der VfL das Ding noch drehen und den Abstieg verhindern könne.
Umso größer war die Freude im Hause Schlotterbeck. In Düsseldorf, in Waldshut-Tiengen, auf Ischia. Und bald auch in London?
Die Schlotterbecks aus Weinstadt im Remstal erleben aufregende Tage. Denn kaum ist die Relegation vorüber, geht der Familienblick auf die Insel, wo am Samstag Nico Schlotterbeck mit Borussia Dortmund das Finale in der Champions League gegen Real Madrid bestreitet.
Mit der Familie zum Finale der Champions League
„Jetzt können wir feiern“, sagte denn auch Keven Schlotterbeck am Montagabend, „und am Freitag geht es dann nach London, um dem kleinen Bruder die Daumen zu drücken.“ Allein reisen muss der „Große“ nicht. „Das wird ein einmaliges Erlebnis“, sagt Onkel Niels – und berichtet, dass „einige“ aus der Familie nach London kommen werden. Er selbst reist mit seinem Sohn Martino (er steht vor einem Engagement beim Regionalliga-Absteiger VfR Aalen) am Samstag auf die Insel – und traut dem BVB durchaus eine Überraschung zu.
„Es wird ein 50:50-Spiel“, ist er sicher – nennt aber auch die Voraussetzung für ein Duell der Dortmunder mit den Königlichen auf Augenhöhe: „Jeder Spieler, von der Nummer 1 bis zur Nummer 16 oder 17, muss gut drauf sein und braucht einen richtig guten Tag.“ Also auch Nico.
Der hat übrigens kürzlich auch das EM-Ticket gelöst – weswegen die aufregenden (Reise-)Tage der Familie Schlotterbeck auch nach Relegation und Königsklasse noch lange nicht vorüber sind.