Anders als zu Wahlkampfzeiten, als der Schulversuch gestoppt werden sollte, will das Kabinett heute den Sonderweg des Freistaats fortsetzen. Aber warum braucht das viel gelobte Projekt einen neuen Namen?

München - Seit zehn Jahren läuft er als Modellversuch; Lob erhält er von Fachleuten aller Seiten. Nur die CSU-dominierte Politik hat sich nicht getraut, das Modell zur Regel werden zu lassen. Bisher nicht. Diesen Dienstag aber steht der „Islamische Unterricht“ auf der Tagesordnung des bayerischen Kabinetts. Und anders als es in den Wahlkampfzeiten des vergangenen Jahres aussah, als die CSU meinte, sich an die AfD anbiedern zu müssen, wird dieses Schulprojekt auch nicht gestoppt. Im Gegenteil: Der Koalitionsausschuss aus CSU und Freien Wählern hat beschlossen, „den Islamischen Unterricht fortzuführen und bedarfsgerecht auszuweiten“.

 

Damit endet zunächst einmal die Unsicherheit, in der die 97 staatlichen, zumeist nur befristet angestellten Lehrer seit Monaten schweben. Auch die 349 Schulen des Freistaats, an denen zuletzt etwa 16.000 Kinder und Jugendliche den Islam-Unterricht besucht haben – etwa zehn Prozent aller muslimischen Schüler in Bayern –, können nun planen. Womöglich sogar über das nächste Schuljahr hinaus. Zwar bleibt es formell zunächst beim „Modellversuch“, aber Thomas Kreuzer, Fraktionschef der lange widerstrebenden CSU im Landtag, hat bereits gesagt: „Ich bin für die Fortsetzung.“ Über das „Wie“ werde noch entschieden. Auch die Freien Wähler und der Kultusminister aus ihren Reihen, Michael Piazolo, sind dafür, den Islam-Unterricht „zu verstetigen“.

Wie das Kind nachher heißen soll, ist allerdings offen. Vor der bisherigen Bezeichnung Islam-Unterricht schreckt die CSU immer noch zurück aus Angst, die Basis zu beunruhigen – obwohl das Fach, wie schon die erste offizielle und sehr positive Auswertung vor fünf Jahren festgehalten hat, in den Schulen längst „zum Alltag gehört“. Auch der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl, hält den Namen Islam-Unterricht für „missverständlich.“ Das hängt damit zusammen, dass man in Bayern nicht so recht weiß, was dieser Unterricht eigentlich sein soll: Ist er ein förmlicher „Religionsunterricht“, wie ihn christliche Schüler auch bekommen, sowie muslimische beispielsweise in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz? Oder ist es eher ein religiös akzentuierter Ethik-Unterricht?

Religion oder Ethik

In die zweite Richtung will Bayern nun stärker gehen als bisher. Von einem „Werteunterricht mit Ethik“ spricht Kultusminister Piazolo; genauer lautet die Definition aus seinem Hause: „Weltanschaulich-religiös neutrale Islamkunde kombiniert mit Werteerziehung.“ An der Universität Erlangen wiederum, wo bayerische Islamlehrer studieren, sagt Professor Tarek Badawia: „Das ist Religionskunde.“ Es werde über den muslimischen Glauben informiert, es gebe eine „Einführung in die Glaubenspraxis“; die Lehrer wüssten als Muslime „von innen heraus“, wovon sie sprächen. Aber auch Badawia sagt, eine förmliche Glaubensunterweisung – wie sie christlicherseits etwa im Erstkommunion- oder Konfirmandenunterricht stattfindet – sei der bayerische Islamunterricht auch nicht: „Es ist werteorientierte Bildung anhand religiöser Inhalte. Da kann ich mitgehen.“

Der Unterschied ist beträchtlich. Für einen regulären Religionsunterricht, auf welchen die Schüler nach Artikel 7 des Grundgesetzes Anspruch haben – oder hätten –, bräuchte es die Zusammenarbeit mit einer rechtlich fest gefügten Religionsgemeinschaft, und eine solche ist (anders als die christlichen Kirchen) im Islam so nicht zu fassen. Hessen und Nordrhein-Westfalen behelfen sich zum Teil mit der türkischen Religionsbehörde Ditib; Baden-Württemberg hat jetzt eine Stiftung eingerichtet, in welcher der Landesverband der Islamischen Kulturzentren und die Landesvereinigung der Bosniaken die Stelle der „Kirche“ einnehmen. Rheinland-Pfalz arbeitet mit jeweils örtlichen muslimischen Gemeinden oder Verbänden zusammen.

Viele wollen Lehrer werden

Bayern geht seinen Sonderweg weiter: Die Definition des Islam-Unterrichts als „Ethik“ erlaubt es dem Staat, ihn in eigener Regie zu organisieren. Auf die politisch heikle Mitsprache von Ditib etwa ist man nicht angewiesen. Was die religiöse Prägung des Unterrichts betrifft, sagt Badawia, hänge ohnehin „sehr viel von den konkreten Lehrkräften ab.“

An Lehrernachwuchs, sagt Badawia, fehle es nicht; nur habe die bisherige Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft des Islamunterricht zahlreiche junge Leute vom Studium abgehalten oder zur Abwanderung in andere Bundesländer gedrängt. Seit allerdings die Nachricht von der Fortsetzung in der Welt sei, „haben wir an der Uni Erlangen viele Anfragen bekommen“.

Vielleicht wird der „neue“ Islamunterricht ja nun auch auf bayerische Gymnasien ausgedehnt. Bisher findet er – rechtlich nicht abgesichert – nur an drei Nürnberger Schulen dieser Art statt. Die Landeselternvereinigung verlangt die Ausweitung „auf alle Gymnasien, wo Bedarf besteht“. Auch Badawia sähe das gerne: „Im Gymnasium entsteht bei den jungen Leuten auch das Interesse, dieses Fach später mal zu studieren.“