Kultur: Tim Schleider (schl)

Deswegen lautet die Forderung keineswegs, die Religionen zu verbieten – das würde die Werte des Westens ja geradezu auf den Kopf stellen. Aber sie müssen, um einen Platz im Westen beanspruchen zu können, anerkennen, dass sie keinerlei Berechtigung haben, sich über andere zu erheben. Und von den Schriften-, Bildern- und Ideenverwaltern aller Religionen und Weltanschauungen, von Geistlichen und Theologen, von Päpsten und Patriarchen bis hinab zum Pfarrer, zum Imam oder zum Gemeindevorsteher ist ohne Wenn und Aber zu fordern, dass sie gegenüber den Gläubigen das Gewaltpotenzial ihrer heiligen Schriften brechen, also zur Liebe, Versöhnung und Toleranz mahnen, zur Nachbarschaftlichkeit und zum Miteinander.

 

Die Religionen dieser Welt haben nur dann einen Platz im Westen, wenn ihr unwiderruflicher Konsens dasjenige ist, was der Tübinger Theologe Hans Küng in seinem Weltethos-Projekt erarbeitet hat. Es ist eine Goldene Regel des Zusammenlebens, die sich als Kern in allen großen Religionen und Philosophien findet: Ich behandele andere so, wie ich selbst behandelt werden möchte. Aber überall da, wo politisch-religiöse Führer anders agieren, ob in evangelikalen Kreisen amerikanischer Rassisten, in antimuslimischen Buddhistenorden in Myanmar, in jüdischen Erweckungssiedlungen im Westjordanland oder in Hassnetzwerken des IS, überall da muss beim Namen genannt und bekämpft werden, was ihr Ziel ist: Gewalt und Terror.

Es gibt keinen Unterschied zwischen gutem und schlechtem Terror

Die Werte des Westens geben dem Einzelnen die Freiheit, sein Glück, wenn er will, in der Religion zu suchen. Aber sie fordern ebenso seinen Respekt, wenn der Nächste – auch wenn es der eigene Nachbar, die eigene Frau, das eigene Kind sein sollte – sein Glück anderweitig sucht. Und sie schaffen jene Regeln, bindend für alle, für Religiöse wie für Nicht-Religiöse, mit denen in Gesellschaft und Politik nach einem möglichst guten Mit- und Füreinander zu streben ist. Keine göttliche, sondern eine möglichst humane Welt – das ist der Horizont des Westens. Und das ist weiß Gott schon utopisch genug.

Die Frage des „Spiegels“, ob er eine Linie sehe zwischen IS und NSU zum eigenen RAF-Terrorismus, wehrte Peter-Jürgen Boock entschieden ab: Keineswegs, denn niemals habe die RAF „wahllos“ getötet. Aha. Sondern immer nur die Richtigen? So blendet die politische Religion ihre Krieger noch über Jahrzehnte hinweg.