Vor fast zwei Jahrtausenden wurden die ersten christlichen Gemeinden im damaligen Mesopotamien gegründet. Im Irak liegen mit die tiefsten Wurzeln des Christentums. Jetzt werden diese Wurzeln wohl endgültig ausgerissen. Auch wenn es unglaublich klingt, aber unter dem Diktator Saddam Hussein lebten Christen weitgehend unbehelligt. Diese Minderheit wurde sogar gefördert, weil sich das Regime ihre Unterstützung sichern wollte. Erst nach der US-Invasion 2003 änderte sich die Sicherheitslage. Seitdem praktizierten Christen ihren Glauben im permanenten Ausnahmezustand, und immer hinter dicken Mauern. Kirchen gingen in Flammen auf, Gläubige wurden attackiert, Geistliche entführt und ermordet. Wer genügend Geld hatte, verließ das Zweistromland. Vor zehn Jahren sollen rund 1,3 Millionen Christen im Irak gelebt haben. Mittlerweile sind es Schätzungen zufolge nur noch 400 000. Aus Angst vor den Islamisten flohen die meisten jetzt in den Norden des gespaltenen Landes.

 

1500 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den Kurdengebieten und dem Reich der Dschihadisten, größtenteils menschenleer und schwer zu kontrollieren. Wie lange die Peschmerga mit ihren alten Waffen die Terroristen, die mit modernster Ausrüstung aus erbeuteten US-Beständen kämpfen, aufhalten können, ist nicht sicher. In Erbil sind Flugblätter der IS aufgetaucht mit dem Text: „Erbil, wir kommen.“ Eine Drohung, die der Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, sehr ernst nimmt. Er steht in seiner Soutane am Eingang der St.-Joseph-Kirche. Kinder rennen im Staub um ihn herum. „Wir sind voller Angst, wir sind verzweifelt. Wir brauchen Hilfe“, sagt Warda. Es sei schwierig, den Menschen Hoffnung zu machen, denn wann der Bürgerkrieg vorbei sei, wisse keiner. „Immer mehr Christen werden dieses Land verlassen, und dass ist sehr schlimm.“ Dann sagt er für einen Geistlichen etwas Bemerkenswertes: „Der Westen sollte militärisch eingreifen, sonst überleben wir das hier nicht.“

Eine andere Kirche, wieder in Ainkawa: auch in der assyrisch-katholischen Kirche leben Hunderte Gestrandete im Garten, auf den Büschen liegt die Wäsche zum Trocknen. In einem Wohncontainer sitzt Pfarrer Pius Affas und hilft bei der Registrierung neuer Flüchtlinge. Der kleine Container ist voller Menschen, Papiere stapeln sich auf dem Tisch, es geht hektisch zu, denn die Urkunden sind begehrt. Wer eine kirchliche Registrierung besitzt, hat größere Chancen, im Ausland als politischer Flüchtling anerkannt zu werden. Herr Pfarrer, sollen die Christen weiterhin im Irak ausharren, oder sollen sie ins Ausland fliehen? „Ich würde niemandem raten, hierzubleiben“, sagt er hastig und wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Papst Benedikt XVI. rief während seiner Libanon-Reise 2012 die bedrängten Christen in der Region zum Bleiben auf. Pfarrer Pius Affas hält ganz kurz inne, schaut nach oben, hebt die Hände in Richtung Himmel. „Die Situation hat sich gewaltig geändert. Für uns Christen gibt es hier in unserer alten Heimat keine Zukunft mehr.“